Zwei Jahre ist es nun her, dass der italienische Neurochirurg Sergio Canavero eine medizinische Sensation ankündigte: Der Arzt möchte die weltweit erste Kopftransplantation durchführen.Auch einen Patienten gab es damals schon. Der erste Mensch, dessen Kopf auf einen anderen Körper verpflanzt wird, sollte der Russe Valery Spiridonov werden, der an spinaler Muskelatrophie leidet. Als möglichen Termin nannte Canavero das Frühjahr 2018. Doch wie realistisch ist dieses Vorhaben überhaupt?


Seit hundert Jahren ein Traum der Wissenschaft

Eigentlich würde der Begriff „Körpertransplantation“ besser auf das vorhaben von Canavero passen, da der Arzt den Kopf von Spiridonov mit einem neuen Köroer verbinden will. Der Eingriff ist für Canavero die Lösung für nahezu alle unheilbare Krankheiten. Schließlich könnte man einen kranken Körper dann einfach durch einen gesunden austauschen. In Canaveros Vorstellung rückt der Mensch so einen Schritt näher an die Unsterblichkeit.


Canavero ist nicht der erste Arzt, der die Idee hat, einen menschlichen Kopf auf einen neuen Körper zu verpflanzen. Seit mehr als einem Jahrhundert träumt die Wissenschaft von einer solchen Operation. Der erste tatsächliche Versuch fand 1908 statt, als der US-amerikanische Physiologe Charles Guthrie einen Hund enthauptete und den Kopf seitlich an den Hals eines anderen Hundes nähte, sodass das Blut zuerst in den zweiten Kopf und dann in den ursprünglichen floss. Das Tier zeigte anfangs noch Reflexe, musste jedoch nach wenigen Stunden getötet werden, weil sein Zustand sich massiv verschlechterte.

Es folgten mehrere solcher Experimente von verschiedenen Forschern. Ein Tier überlebte sogar einen ganze Monat lang. 1970 tauschte der US-amerikanische Hirnchirurg Robert White erstmals einen Kopf aus: Er setzte dem Körper eines Rhesusaffen den Kopf eines Artgenossen auf. Das Ergebnis war ein vom Hals an abwärts gelähmtes Tier, das jedoch fressen und mit den Augen Bewegungen folgen konnte. Nach einer Woche verstarb der Affe jedoch. Der Arzt Jerry Silver, der das Experiment mitverfolgte, beschreibt seitdem das angstverzerrte Gesicht des Tieres und plädiert dafür, die Experimente einzustellen.

Anders jedoch Canavero. Der Italiener ist überzeugt davon, dass die Methode auch bei Menschen zum Einsatz kommen sollte. Sein Projekt taufte er auf den Namen „HEAVEN“ (head anastomosis venture). Die eigentliche Operation soll mit zwei Chirurgenteams durchgeführt werden.

So soll die OP ablaufen

Bei dem Eingriff sollen sowohl der Spender als auch der Patient auf 12 bis 15 Grad Celsius runtergekühlt werden. Anschließend wird das Team die Blutgefäße mit einer kalten Lösung durch, deren Zusammensetzung der des menschlichen Blutes entspricht. Die Möglichkeiten von induzierter Hypothermie sind bereits großflächig erforscht. Durch die Kälte werden die Hirnzellen in eine Art Standby-Modus versetzt, in dem sie erheblich weniger Sauerstoff benötigen. Menschen können auf diese Art und Weise eine Stunde ohne Blutzirkulation überleben, ohne neurologische Schäden davonzutragen.

In diesem Zeitfenster soll die eigentliche Operation stattfinden. Spender und Patient werden in eine aufrecht sitzende Position gebracht und die Chirurgen durchtrennen oberhalb des Schlüsselbeins vorsichtig alle anatomischen Strukturen. Zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel wird das Rückgrat gebrochen. Anschließend wird der Kopf des Patienten auf den Spenderkörper gesetzt und die vorher durchtrennten Strukturen werden neu verbunden sowie die Haut vernäht. Anschließend wird der Kopf mit dem Blutfluß des Spenders wieder erwärmt.

Anschließend wird der Patient drei Wochen lang in ein künstliches Koma versetzt. Nach dem Erwachen schult er seine Bewegungsfähigkeit mit Hilfe von Physiotherapeuten und muss sein Leben lang Immunsuppressiva einnehmen, um eine Abstoßung zu verhindern.

Das Problem ist das Rückenmark

So weit der Plan von Canavero. Die größte Herausforderung bei der OP wäre es wohl, das durchtrennte Rückenmark des Kopfes mit dem des Körpers zu verbinden. Das Rückenmark regeneriert sich nicht spontan, weshalb Canavero eine besonders scharfe Klinge für das Rückenmark verwenden will, um eine glatte Schnittstelle zu erhalten. Anschließend will er das Polymer Polyethylenglykol (PEG) einsetzen, um die beiden Rückenmarkstränge miteinander zu verbinden. In einer Studie gelang es, bei querschnittsgelähmten Ratten mit PEG eine Verbesserung zu erreichen.

Der Arzt hinter dieser Studie, Hans Werner Müller von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, geht jedoch davon aus, dass dieses Unterfangen scheitern wird. Dies habe er Canavero so auch mitgeteilt. Grund dafür ist, dass PEG die verletzten Axone der Versuchstiere nicht wieder zusammenfügte, sondern neue Zellausläufer das Gehirn der Tiere mit dem Rückenmark verbanden.

Angeblich gelang es südkoreanischen Forschern, die eng mit Canavero zusammenarbeiten, mit Hilfe von PEG einen Hund mit durchtrennten Rückenmark wieder zum Laufen zu bringen. Allerdings gibt es dafür kaum Belege – der Versuch der Südkoreaner rechtfertigt kaum einen Versuch an Menschen. Bei Menschen gelang es bisher nur ein einziges Mal, beschädigtes Rückenmark zu reparieren – allerdings mit einer völlig anderen Methode.

Psychologische Folgen können nicht eingeschätzt werden

Selbst wenn die medizinisch fragwürdige Operation ein Erfolg ist, gibt es keinerlei Erkenntnisse darüber, was diese massive körperliche Veränderung mit der menschlichen Psyche macht. Der Patient, bei dem die erste Handtransplantation durchgeführt wurde, ließ die Operation zwei Jahre später wieder rückgängig machen, weil er das neue Glied nie als sein eigenes akzeptieren konnte. Dieser Weg zurück bliebe dem Patienten der ersten Kopftransplantation natürlich verwehrt.

Auch Medizinethiker melden Bedenken an, ob sich der Körper wie ein Ersatzteil austauschen lässt. Die Auffassung, dass der Körper ein maschinelles Anhängsel für den Kopf sei, zeuge von einem arg simplen Menschenbild, so die Kritik.

Wird die OP jemals stattfinden?

Der Russe Valery Spiridonow musste sich inzwischen übrigens von seinem Traum von einem neuen Körper verabschieden. Da keine westliche Ethikkommission die OP absegnen würde, soll sie nun in China stattfinden. Es kommt also nur ein chinesischer Staatsbürger als Patient in Frage.

Durchgeführt werden soll der Eingriff an der Universität in Harbin. Dort arbeitet Xiaoping Ren, der an der ersten Handtransplantation beteiligt war und ebenfalls seit 2013 mit Kopftransplantationen bei Tieren experimentiert – ebenfalls mit eher zweifelhaften Erfolg. Aber auch Ren steht dem Vorhaben inzwischen kritisch gegenüber – ähnlich wie Huang Jiefu, der Vorsitzende des chinesischen Komitees für Organverpflanzungen. Dieser erklärte, dass eine Kopftransplantation beim Menschen mit chinesischem Recht nicht vereinbar wäre.

Ob die OP in absehbarer Zeit stattfinden wird, steht also nach wie vor in den Sternen. Nicht nur rechtliche Hürden wollen umschifft werden, Canavero bräuchte auch ein komplettes Team an Top-Chirurgen, die sich auf seinen Plan einlassen. Canavero ist im Kopf jedoch schon beim nächsten Projekt: Innerhalb der nächsten drei Jahre will er ein menschliches Gehirn verpflanzen.

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