Die Meinungen über Volksentscheide gehen auseinander. Während sie in manchen Ländern quasi an der Tagesordnung sind (ein prominentes Beispiel in Europa ist die Schweiz), sind sie in Deutschland seltener und auch nicht bindend. Ein Kandidat für den Stadtrat der Stadt Boulder im Bundesstaat Colorado in den USA möchte nun noch einen Schritt weiter in Richtung einer flüssigen Demokratie gehen: Er verspricht, im Falle seiner Wahl bei Abstimmungen stets so abzustimmen, wie es ihm die Bürger in einer extra Abstimmung über eine App vorgeben.


Bürger entscheiden über eine App

Die dazugehörige App namens Parti.Vote hat der Kandidat Camilo Casas selber programmiert. Er möchte die Demokratie so direkter gestalten. Anstelle zu hoffen, dass ein gewählter Vertreter Entscheidungen im Sinne der Bürger trifft, würden diese so vor jeder Entscheidung befragt werden. Die Bürger von Boulder könnten sich in der App registrieren. Casas Team würde vor der Freischaltung jede Anmeldung überprüfen, um Betrugsversuche zu vermeiden. Jede anstehende Abstimmung würde dann vor dem Abstimmungstermin über die App an die Bürger zur Abstimmung weitergereicht – Casas würde seine Stimme dann entsprechend abgeben, unabhängig von seiner eigenen Meinung zu dem Thema. „I personally am convinced that when you have to lobby a constituency rather than an elected office you will on average get more democratic and consensual outcomes“, so Casas gegenüber der Webseite Motherboard.


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Direkte Demokratie: Ein heißes Thema

Der Ansatz von Casas gibt definitiv einen interessanten Ausblick auf die mögliche Zukunft der Demokratie. Wenn Casas gewählt wird, würde seine Stimme tatsächlich die Stimme des Volkes repräsentieren. In der Zeit vor dem Internet wäre dies schlicht zu aufwändig gewesen. Heute lassen sich solche Modelle aber problemlos realisieren.

Das Thema direkte Demokratie wird schon seit langem diskutiert. Auf Ebenen wie dem Stadtrat oder anderen Gemeindevertretungen sind die zu treffenden Entscheidungen noch recht nah am Bürger, eine informierte Entscheidung dürfte diesem deshalb leicht fallen. Auf höheren Ebenen, wie etwa der Landes- oder sogar der Bundesebene, werden die Entscheidungen komplexer und abstrakter und können im Grunde nicht einfach so vom Bürger nebenbei getroffen werden. Ein interessantes Beispiel für die Problematik rund um Volksentscheide und direkte Demokratie war die Abstimmung zum Brexit in Großbritannien, wo viele Wähler nach der Abstimmung zugaben, dass sie nicht wussten, was genau die Folgen der Abstimmung sind.

Der Ansatz ist nicht frei von Problemen

Casas Ansatz hat aber auch ganz spezifische Probleme. Zum einen könnten technologieaffine Bürger in der App überrepräsentiert sein, was die Abstimmungen verfälschen würde. Außerdem ist es schwer, ein rein elektronisches, internetbasiertes Abstimmungssystem vor Manipulationen zu schützen.

Ein ganz anderes Problem ergibt sich aus dem Grundprinzip der indirekten Demokratie. Es ließe sich nämlich argumentieren, dass Casas als Volksvertreter in erster Linie seine Wähler vertritt und nicht das komplette Volk. Da es nicht möglich ist, in der App zu prüfen, wer Casas gewählt hat und wer nicht, würde dieses Prinzip ausgehebelt werden.

Casas zumindest ist überzeugt, dass seine Idee und seine App ein Schritt in die richtige Richtung sind. „We’re not trying to build the perfect system of democratic participation. We’re trying to improve the system we have“, erklärt der Politiker.

Ein Problem lässt sich jedoch nicht wegdiskutieren: Dass Casas tatsächlich im November in den Stadtrat von Boulders gewählt wird, gilt als extrem unwahrscheinlich.

via Motherboard

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