Dass Viren mutieren, ist völlig normal. Auch SARS-CoV-2 macht da keine Ausnahme. Momentan sorgen gleich mehrere Mutationen des im Volksmund vereinfacht als Coronavirus bezeichneten Virus in der Fachwelt Sorgen aus. Grund für diese Sorgen ist nicht nur die eventuell gesteigerte Infektiösität, sondern auch die Tatsache, dass einige Mutationen auf eine beginnende „Flucht“ vor unserer Immunantwort hindeuten könnten. Ob dies eines Tages zur Immunität gegen die neuen Impfstoffe führen könnte, ist noch komplett unklar.


Auf der Flucht vor dem Immunsystem

Auch SARS-CoV-2 verändert sich fortlaufend. Bereits seit Beginn der Pandemie hat durchlief das Virus immer wieder leichte Mutationen, von denen inzwischen einige weltweit dominieren, andere bereits wieder fast ausgestorben sind. Die meisten dieser Mutationen hatten aber keinen Einfluss auf die Infektiosität des Virus oder die Schwere des Verlaufs der von ihm hervorgerufenen Covid-19-Erkrankung.


In den letzten Wochen jedoch gab es gleich mehrere Varianten von SARS-CoV-2, die unter Fachleuten für Bedenken sorgten – darunter etwa auch die britische Variante B.1.1.7. Diese Varianten haben alle mehrere Mutationen, die die Infektiosität des Virus erhöhen. Besorgniserregender jedoch ist die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Virus sogenannte Flucht-Mutationen ausbildet, also Genveränderungen, durch die ein Virus der Immunantwort seines Wirts entgehen kann. Bei derartigen Mutationen verändern sich in der Regel die viralen Proteinstrukturen, an denen die Zellen des Immunsystems ansetzen. Die Folge solcher Mutationen kann sein, dass ein bestehender Immunitätsschutz abgeschwächt oder gar ganz unwirksam wird.

Dem Coronavirus auf der Spur

Forscher rund um Allison Greaney von der University of Washington haben die bereits nachgewiesenen Mutationen auf ihre Auswirkungen auf die humane Immunantwort hin untersucht. Anhand von Zellkulturen untersuchten sie, wie die Mutationen auf die Bindung von Antikörpern wirken. „ Die Stelle, an der Mutationen den größten Effekt auf die Antikörper-Bindung und Neutralisation haben, ist unglücklicherweise E484 – der Ort, an dem mehrere aktuelle Coronavirus-Varianten eine Mutation tragen“, fassen die Forscher ihre Ergebnisse zusammen. Diese Mutation ist etwa bei der südafrikanischen und brasilianischen Variante des Coronavirus vorhanden und verringerte die Wirkung der Antikörperseren im Versuch um das Zehnfache,

Diese Ergebnisse lassen aber nicht den Schluss zu, dass Impfstoffe und die natürliche Immunantwort im Falle der Mutationen 10 Mal weniger Wirksam sind. Die meisten Menschen produzieren Antikörper nämlich nicht nur gegen eine Stelle des viralen Proteins, sondern gegen mehrere. Außerdem gibt es individuelle Unterschiede in der Antikörper-Zusammensetzung.

Die Ergebnisse der Forscher bieten dennoch Anlass zur Sorge, da sie deutlich zeigen, dass das Virus schon erste Flucht-Anpassungen durchlaufen hat. Virologen gehen davon aus, dass Flucht-Mutationen vor allem dort entstehen, wo es viele Menschen gibt, die gegen das Virus immunisiert sind und sprechen bei diesem Effekt von einem Antigen-Drift oder einer Antigen-Evolution. Deshalb lag es auch nahe, dass die Mutationen sich in Brasilien und Südafrika entwickelten, wo die Durchseuchung der Bevölkerung aufgrund ihrer Lebensumstände teilweise bereits bei bis zu 50 Prozent liegt.

Vergleich mit anderen Coronaviren

Relevant ist aber vor allem die Frage, wie groß die Gefahr ist, dass SARS-CoV-2 noch mehr, noch wirksamere Flucht-Mutationen ausbildet. Ein Team rund um Kathryn Kistler und Trevor Bedford vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle untersuchte dies an den vier bereits bekannten Erkältungs-Coronaviren OC43, 229E, NL63 und HKU1, die bereits seit Jahren im Umlauf sin.

Einige dieser Coronaviren können Menschen mehrfach infizieren, aber es ist unklar, in welchem Maße dies auf eine Antigen-Anpassung zurückgeht. Wir wollten daher untersuchen, ob diese mit SARS-CoV-2 verwandten Coronaviren Anpassungen gegen unser Immunsystem entwickelt haben“, so die Forscher. Um dieser Frage nachzugehen, verglichen sie hunderte Erbgutsequenzen der Coronacviren, die über insgesamt 50 Jahre erstellt wurden. Bei zwei von vier der Viren konnten die Forscher einen deutlichen Antigen-Drift feststellen. Genauer gesagt handelt es sich um das enger mit SARS-CoV-2 verwandten Betacoronavirus OC43 sowie das Alphacoronavirus 229E. Im Falle von NBL63 fanden die Forscher keine Hinweise auf einen Antigen-Drift. Bei dem Virus HKU1, das ebenfalls eng mit SARS-CoV-2 verwandt ist, waren die Ergebnisse noch nicht eindeutig.

SARS-CoV-2: Situation noch unklar

Bisher konnte also nur gezeigt werden, dass einige Coronaviren relativ zügig erste Flucht-Mutationen ausbildete. Die Ergebnisse lassen aber noch nicht den Schluss zu, dass dies bei allen Alpha-Coronaviren und somit auch bei SARS-CoV-2 der Fall ist. „ Wenn aber SARS-CoV-2 sich ähnlich entwickelt wie der eng verwandte OC43, dann kann es sein, dass die Impfstoffe gegen Covid-19 häufiger angepasst werden müssen – ähnlich wie bei den Grippe-Impfstoffen“, so Kistler und Bedford.

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