Die globale Industrie ist verantwortlich für etwa 25 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Das entspricht etwa 9,3 Milliarden Tonnen pro Jahr — und die Tendenz geht nach oben. Dabei ist es im Angesicht der zunehmenden Erderwärmung dringend geboten, CO2-Emissionen zu vermeiden wo es nur geht. Ein Team der Universität Leeds hat nun untersucht, in welchen Industriesektoren wie viel CO2-Emissionen vermieden werden könnten,und zwar unter der Voraussetzung, dass nur Technologien verwendet werden, die bereits heute verfügbar sind.


Der Weg in eine dekarbonisierte Zukunft

Für ihre Studie orientierten sich die Forscher:innen an dem sogenannten „technology readiness level“ (TRL), welches angibt, wie nah eine Technologie daran ist, weit verbreitet und angenommen zu sein. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die meisten Industriesektoren auch bei der Beschränkung auf Technologien mit einem TRL von sechs bis neun (was bedeutet, dass die betreffenden Technologien zumindest bereits in größerem Stil in industriellen Settings verwendet werden können) im Schnitt etwa 85 Prozent ihrer aktuellen Emissionen vermeiden könnten. Dabei ging es vor allem um „Carbon Capture and Storage“-Technologien (CSS) und den Wechsel auf Wasserstoff oder Biomasse zur Bereitstellung von Energie.


Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die einzelnen Sektoren und die in Frage kommenden Technologien gegeben werden.

Eisen- und Stahlproduktion

Bei der Produktion von Eisen und Stahl kommen heute noch weitgehend Hochöfen zum Einsatz, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden und auch auf fossile Materialien als Reduktionsmittel zurückgreifen. Das resultiert darin, dass pro produzierten Tonne Stahl etwa zwei Tonnen CO2 emittiert werden.

Sowohl die Reduktion als auch die Hochöfen selber könnten auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Mangels Alternativen wäre dieser grüne Wasserstoff im der Eisen- und Stahlproduktion auch wesentlich besser aufgehoben als ihn mit relativ geringer Effizienz zum Antrieb privater PKW zu nutzen. Bereits heute gibt es grüne Stahlwerke, die mit Wasserstoff betrieben werden. Limitierender Faktor für eine umfassende Umstellung wäre hier allerdings die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff.

Aber selbst mit den klassischen Hochöfen könnten etwa 86 Prozent der entstehenden CO2-Emissionen mit CSS-Technologien wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Dabei würde der Energiebedarf der Produktion inklusive CSS um etwa 17 Prozent steigen.

Chemie-Industrie

Die Chemie-Industrie ist eine Herausforderung, wenn es um Dekarbonisierung geht. Dies liegt daran, dass in ihr viele verschiedene Produkte, Prozesse und Reaktionen vereint werden. Allerdings existieren einige Prozesse, bei denen besonders viele Emissionen anfallen, wie etwa die Synthese von Ammoniak, für die es deutlich grünere Alternativen gäbe.

Etwas komplexer wird es bei der sogenannten Dampfspaltung, einem Prozess, der hinter der Produktion zahlreicher chemischer Grundbausteine wie Ethylen, Propylen oder aromatischer Verbindungen steckt. Elektrische oder wasserstoffbasierte Dampfspaltung hat nach Einschätzung der Forscher:innen erst eine TRL von 5 erreicht, konnte also nicht berücksichtigt werden. Aber auch hier könnte CSS eingesetzt werden, um unter dem Einsatz von 25 Prozent mehr Energie etwa 90 Prozent der Emissionen auszugleichen.

Bei der Produktion von Methanol und Wasserstoff sind Elektrolyseure das Mittel der Wahl. Mit diesen ließen sich die CO2-Emissionen auch auf quasi Null reduzieren — allerdings würde dies gewaltige Mengen grüner Energie benötigen. Im Vergleich zu aktuell verwendeten Methoden würde der Energiebedarf um gewaltige 743 Prozent steigen. Und auch CSS wäre weniger effektiv und könnte lediglich 52 bis 88 Prozent der Emissionen ausgleichen (bei einem Mehrbedarf an Energie in Höhe von 10 Prozent).

Zement und Kalk

Der Großteil der CO2-Emissionen, die bei der Produktion von Zement und Kalk anfallen, können mit Technologien, die den Anforderungen der Forscher:innen genügen, nicht vermieden werden. In diesem Sektor hat damit CSS das größte Potential zur Vermeidung von CO2-Emissionen. Der Mehrbedarf an Energie läge dabei zwischen 62 und 166 Prozent.

Aluminium-Produktion

Etwa zwei Drittel der bei der Produktion von Aluminium anfallenden CO2-Emissionen entstehen durch die Verwendung elektrischer Energie, die aus fossilen Energiequellen gewonnen wird. Diese Energie durch „grünen“ Strom zu ersetzen würde diese Emissionen somit quasi eliminieren. Die im Prozess entstehenden Emissionen ließen sich vermeiden, indem man die Kohlenstoff-Anoden in den Elektrolyseuren durch inerte Anoden ersetzt.

Nach diesen beiden Maßnahmen würden noch etwa 13-16 Prozent der Emissionen verbleiben. Diese könnten durch den Wechsel auf Wasserstoff als Brennstoff für den Prozess der Aluminiumveredlung eliminieren. Allerdings sind die entsprechenden Technologien noch deutlich von einer Verwendbarkeit im industriellen Maßstab entfernt.

Die einfachste Methode um die Emissionen bei der Aluminiumproduktion zu vermeiden wäre konsequentes Recycling. Die entsprechenden Verfahren existieren bereits. Würden sie konsequent eingesetzt, könnten 95 Prozent der Emissionen vermieden werden.

Zellstoff und Papier

In diesem Sektor geht es vornehmlich darum, den Energieverbrauch zu senken, verwendete Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen und die eingesetzten CHP-Systeme zu dekarbonisieren. In der Studie werden auch einige Verfahren zur Trocknung von Papier behandelt, die sich gerade in verschiedenen Stufen der Entwicklung befinden.

Glas

Die verwendeten Öfen sind in diesem Sektor die größte Emissions-Quelle. Kämen elektrisch oder mit Biomasse betriebene Alternativen zum Einsatz, könnten die Emissionen um 80 Prozent gesenkt werden. Im Falle von elektrischen Öfen könnte der Energiebedarf im Vergleich zu traditionellen Methoden sogar um 15 bis 25 Prozent gesenkt werden.

Lebensmittelindustrie

Wie auch die Chemieindustrie ist auch die Lebensmittelindustrie sehr divers. Die meisten Emissionen entstehen allerdings bei der Verwendung von Dampf zum Erhitzen und Trocknen. Auch der direkte Einsatz fossiler Brennstoffe ist ein Problem. Es gibt allerdings eine Reihe alternativer Technologien, die auf elektrische Energie, Biomasse, Wasserstoff, konzentrierte Solarenergie, Geothermie oder UV-Strahlung zurückgreifen.

Hindernisse bei der Dekarbonisierung: Verfügbarkeit und Kosten

Unterm Strich lässt sich resümieren, dass der Hauptanteil der CO2-Emissionen in der Industrie durch den Energiebedarf sowie den Einsatz von Wärme verursacht wird. Die meisten Prozesse lassen sich entweder elektrifizieren oder auf saubere Treibstoffe umgestellt werden. Außerdem stammt ein beträchtlicher Anteil aus den sogenannten „Prozessemissionen“. Diese können schwerer vermieden werden, lassen sich aber durch CSS ausgleichen. Bis zur Null-Emissions-Industrie müssen allerdings noch technologische Lücken geschlossen werden, etwa bei der Keramik-Produktion, bei der extreme Temperaturen benötigt werden. Eine Verminderung der Emissionen um 85 Prozent wäre allerdings mit aktuell verfügbaren Technologien erreichbar.

Bei der Umsetzung gibt es allerdings zahlreiche Probleme. Eines ist die Verfügbarkeit grünen Stroms. Elektrifizierung ist nämlich logischerweise nur ein sinnvoller Schritt, wenn auch das Stromnetz dekarbonisiert ist — ansonsten werden die Emissionen nur verlagert, nicht aber vermieden. Das Problem dabei ist, dass nicht nur die Industrie Strom benötigt und der Strombedarf stetig steigt. Es reicht also nicht, existierende Kapazitäten zu dekarbonisieren und auf erneuerbare Energien umzustellen, sondern auch stetig weiter auszubauen. Energieunternehmen stehen hier vor einer gewaltigen Herausforderung, die nicht von heute auf morgen bewältigt werden kann. In vielen Ländern (auch in Deutschland) wird die Energiewende außerdem politisch ausgebremst (ja, wir schauen dabei nach Bayern).

Ähnliche Herausforderungen stellen sich bei der Umstellung von Prozessen auf Wasserstoff als Energielieferant. Dies ergibt nur Sinn, wenn dieser auch grün hergestellt wird. Dafür wird wiederum grüner Strom benötigt. Außerdem wird die entsprechende Infrastruktur für den Transport sowie die Lagerung des Wasserstoffs benötigt.

Hinzu kommt, dass die Vermeidung von Emissionen Geld kostet. Auf vielen Märkten sind fossile Energieträger weiterhin deutlich günstiger als elektrische Energie. Die Elektrifizierung von Produktionsprozessen, so sinnvoll sie auch wäre, kann die operativen Kosten eines Unternehmens um 200 bis 300 Prozent ansteigen lassen. Auch CSS-Technologien sind zwar sinnvoll, aber teuer und energiehungrig: Pro Tonne CO2 fallen Kosten zwischen 10 und 250 US-Dollar an, je nach verwendeter Technologie und dem Prozess, der Dekarbonisiert werden soll.

Eine dekarbonisierte Industrie wäre teurer, aber nicht zu teuer

Als Resultat, so schätzen die Forscher:innen, würden die Kosten in der Stahlproduktion um etwa 15 Prozent steigen. Bei Olefinen und aromatischen Verbindungen wären es 50 bis 220 Prozent, bei Beton etwa 30 Prozent.

Rechnet man diese Mehrkosten auf Verbraucherpreise um, so ist das Resultat weniger drastisch. Eine Fallstudie für das Vereinigte Königreich kam vor kurzem zu dem Schluss, dass eine industrielle Dekarbonisierung im Sinne des “Netto-Null”-Ziels bis 2050 die Verbraucherpreise um weniger als ein Prozent ansteigen lassen würden.

Knackpunkt grüne Energie

Saubere Energie wäre derzeit zwar noch eine große Herausforderung, aber sowohl Sonnen- als auch Windenergie sind wirtschaftlich bereits heute sehr konkurrenzfähig, was darin resultieren wird, dass diese Energiearten in Zukunft immer mehr verfügbar werden. Hinzu kommt, dass wir in Sachen Geothermie enormes Potenzial haben, das derzeit noch kaum ausgeschöpft wird. Und auch wenn das in Deutschland derzeit kein Thema ist: Auch Fortschritte im Bereich modulare Atomenergie bergen noch viel Potenzial. Ganz zu schweigen von dem “heiligen Gral” der Fusionsenergie. Wobei die letzten beiden Energieformen in Sachen TRL wohl eher schlecht abschneiden.

Die Dekarbonisierung der Industrie wird sicher nicht leicht werden. Möglich ist sie aber allemal — selbst beim aktuellen Stand der Technik ließe sich bereits viel machen. Nötig wären nun genug Anreize für die Industrie seitens der Regierungen sowie weitere Fortschritte in der technologischen Entwicklung.

via EurekAlert

 

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