Oxytocin ist vor allem als Hormon sozialer Bindung bekannt, doch seine Wirkung reicht offenbar bis in grundlegende körperliche Regenerationsprozesse hinein. Forschende der Uniklinik Heidelberg haben untersucht, wie Oxytocin im Zusammenspiel mit zwischenmenschlicher Nähe die Heilung kleiner Hautwunden beeinflusst. Im Zentrum ihrer Arbeit steht die Frage, ob soziale Interaktionen nicht nur das subjektive Wohlbefinden, sondern auch messbare biologische Prozesse wie Entzündungsreaktionen und Stressantworten verändern können. Die Ergebnisse legen nahe, dass Zuwendung und körperliche Nähe unter bestimmten Bedingungen tatsächlich „unter die Haut gehen“ und die Wundheilung beschleunigen. Oxytocin als Schnittstelle zwischen Psyche und Körper Oxytocin wird im Gehirn gebildet und sowohl als Hormon als auch als Neurotransmitter eingesetzt. Bekannt ist es vor allem für seine Rolle bei Geburt, Stillen und sozialen Bindungen. In den vergangenen Jahren rückte jedoch zunehmend seine Wirkung auf das Immunsystem und auf stressabhängige Regulationsmechanismen in den Fokus. Oxytocin kann Entzündungsprozesse beeinflussen und die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol dämpfen. Beide Faktoren spielen eine zentrale Rolle bei der Wundheilung, da chronischer Stress und erhöhte Cortisolspiegel Reparaturprozesse im Gewebe verlangsamen können. Experimentelle Studien deuten darauf hin, dass Oxytocin auf zellulärer Ebene die Aktivität von Immunzellen verändert und damit die Balance zwischen Entzündung und Regeneration beeinflusst. Diese Effekte sind jedoch nicht isoliert zu betrachten. Vielmehr scheint das soziale Umfeld entscheidend dafür zu sein, ob Oxytocin seine potenziell positiven Wirkungen entfalten kann. Ohne soziale Einbettung oder bei anhaltender Belastung können sich die Effekte abschwächen oder sogar ins Gegenteil verkehren. Kombination aus Hormonen und Zärtlichkeit Einen wichtigen Beitrag zur Einordnung dieser Zusammenhänge liefert eine Studie der Uniklinik Heidelberg, in der Paare unter kontrollierten Bedingungen untersucht wurden. Die Forscher:innen verabreichten den Teilnehmenden über mehrere Tage hinweg entweder ein Oxytocin-Nasenspray oder ein Placebo. Zusätzlich wurden die Paare dazu angeregt, im Alltag bewusst mehr Zuwendung und körperliche Nähe zu zeigen. Zu Beginn des Experiments wurden kleine, standardisierte Hautwunden gesetzt, deren Heilungsverlauf anschließend beobachtet wurde. Die Ergebnisse zeigten ein differenziertes Bild. Weder Oxytocin allein noch vermehrte Zärtlichkeit ohne hormonelle Unterstützung führten zu einer deutlich beschleunigten Heilung. Erst die Kombination aus beidem hatte einen messbaren Effekt: Die Wunden schlossen sich schneller, und zugleich sanken die Cortisolwerte der Teilnehmenden. Studienleiterin Professorin Dr. Beate Ditzen fasste dies mit den Worten zusammen, dass Zuwendung im Alltag in Verbindung mit Oxytocin „messbare Effekte auf den Körper“ habe und sogar die Heilung kleiner Verletzungen beschleunigen könne. Diese Befunde sprechen dafür, dass Oxytocin nicht als isolierter Wirkstoff verstanden werden sollte, sondern als Teil eines komplexen biopsychosozialen Zusammenspiels. Die hormonelle Wirkung entfaltet sich demnach besonders dann, wenn sie in einen Kontext sozialer Nähe eingebettet ist. Es bleiben viele Fragen offen Trotz der aufsehenerregenden Ergebnisse bleiben zahlreiche Fragen offen. Die untersuchte Gruppe bestand aus gesunden Erwachsenen in stabilen Partnerschaften. Ob sich die beobachteten Effekte auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen lassen, etwa auf ältere Menschen, auf Alleinlebende oder auf Patient:innen mit chronischen Erkrankungen, ist bislang unklar. Auch handelte es sich um kleine, kontrollierte Hautverletzungen, nicht um klinisch relevante oder chronische Wunden. Zudem zeigt die Forschung, dass Oxytocin keine universelle „Heilsubstanz“ ist. Seine Wirkung hängt stark vom emotionalen und sozialen Kontext ab. Unter ungünstigen Bedingungen kann das Hormon sogar mit erhöhtem Stress oder einer verzögerten Heilung einhergehen. Diese Ambivalenz macht deutlich, dass einfache therapeutische Anwendungen, etwa in Form einer routinemäßigen Oxytocin-Gabe, derzeit nicht realistisch sind. Gleichwohl verdeutlichen die Ergebnisse der Heidelberger Arbeitsgruppe, wie eng soziale Beziehungen und körperliche Gesundheit miteinander verknüpft sind. Sie liefern einen biologischen Anhaltspunkt dafür, dass zwischenmenschliche Nähe nicht nur psychologisch, sondern auch physiologisch relevant ist. Künftige Studien könnten dazu beitragen, diese Zusammenhänge weiter aufzuklären und langfristig neue Ansätze für eine ganzheitlichere Betrachtung von Heilungsprozessen zu entwickeln. via Uniklinik Heidelberg Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter