Während die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien im vollen Gange ist, wird Fusionsenergie als das Mittel der Wahl gehandelt, wenn es darum geht, die Menschheit in mittelbarer Zukunft mit Energie zu versorgen. Eine der größten Herausforderungen bei künftigen Fusionsreaktoren ist indes der sichere Einschluss des mehr als 100 Millionen Grad heißen Plasmas. Solchen Temperaturen kann kein Material standhalten, weshalb das Plasma bei Magneteinschluss-Reaktoren, zu denen etwa auch der ITER in Frankreich oder der deutsche Wendelstein-7-X gehört, durch ein Magnetfeld in Schach gehalten. Dabei gibt es keine Berührungspunkte zwischen dem Plasma und der Wand des Reaktors. Forscher:innen gelang es nun, den Abstand zwischen Plasma und Reaktorwand zu minimieren, sodass in Zukunft kompaktere Fusionsreaktoren umsetzbar sein könnten.


Bild: MPI für Plasmaphysik/Volker Rohde

Starke Hitzebelastung für die Reaktorwand

Innerhalb eines Fusionsreaktors entstehen bei der Kernfusion energiereiche Teilchen, die aus dem Magnetkäfig austreten und auf einen spezifischen Bereich der Reaktorwand auftreffen. Träfe man keine Gegenmaßnahmen, würden etwa 20 Prozent der Fusionsleistung diese sogenannte Divertor-Region treffen, was etwa 200 Megawatt pro Quadratmeter entspräche. Bedingungen, die sich sonst nur auf der Oberfläche der Sonne wiederfinden.

Damit die Reaktorwand dieser extremen Belastung standhalten kann, sind etwa die Divertor-Platten des ITER-Reaktors aus dem hitzebeständigen Element Wolfram gefertigt. Dieses hat eine Schmelztemperatur von 3.422 Grad – die höchste aller bekannten Elemente. Das verleiht dem Divertor von ITER immerhin die Fähigkeit, zehn Megawatt pro Quadratmeter zu verkraften, was für den Fusionsbetrieb allerdings immer noch wesentlich zu wenig ist. Also werden dem Fusionsplasma geringe Stickstoff-Mengen hinzugesetzt, die zu einer Verunreinigung führen, weshalb ein Teil der Wärme als UV-Licht abgestrahlt werden kann. Allerdings ist immer noch ein Abstand zwischen Plasma und der Wand eingehalten werden. Beim ITER-Testmodell ASDEX Upgrade in Garching beträgt der nötige Abstand zwischen der unteren Plasma-Spitze, die als X-Punkt bezeichnet wird, zum Divertor ein Minimum von 25 Zentimetern.


Geringerer Abstand zwischen Plasma und Reaktorwand

Physiker:innen rund um Tilmann Lunt vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching haben nun eine Methode entwickelt, mit der die Hitzebelastung des Divertors deutlich gesenkt und somit der nötige Abstand zum Plasma verringert werden kann. Die Entdeckung war sozusagen ein Zufallsfund. „Versehentlich sind wir mit dem Plasmarand deutlich näher an den Divertor herangegangen, als geplant. Wir waren sehr überrascht, dass das ASDEX Upgrade damit problemlos klargekommen ist„, erläutert Lunt.

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Als die Physiker:innen diesem Phänomen nachgingen, fanden sie heraus, dass eine leichte Änderung des Magnetfelds dazu führt, dass ab einem bestimmten Stickstoffgehalt im Plasma in einem lokalisierten Bereich eine starke UV-Abstrahlung auftritt. Die Physiker:innen bezeichnen diesen Bereich als X-Punkt-Strahler. In dieser Zone werden bis zu 90 Prozent der Plasmahitze in UV-Strahlung umgewandelt.

Dieser X-Punkt-Strahler sorgt für eine extrem lokalisierten, aber starke Abkühle des Randbereichs des Plasmas, ohne dass das restliche Plasma seine Energie verliert. Im Testreaktor ASDEX konnte die Temperatur an den Divertorkacheln so von etwa 1.000 Grad auf 661 Grad gesenkt werden, während die Konfiguration stabil blieb.

So gelang es dann, den Mindestabstand zwischen dem Plasma und dem Divertor von mindestens 25 auf fünf Zentimeter zu reduzieren. „ Diese Verlagerung wird erreicht, indem die Spannung in der Divertor-Spule verringert wird, in diesem Fall um rund 50 Prozent„, so die Forscher:innen.

Game-Changer für Fusionsreaktoren

Wir haben es mit einer bedeutenden Entdeckung in der Fusionsforschung zu tun. Der X-Punkt-Strahler eröffnet uns völlig neue Möglichkeiten bei der Entwicklung eines Kraftwerks„, so die Forscher:innen. Künftige Fusionsreaktoren könnten so nicht nur kompakter, sondern auch leistungsfähiger werden. Durch die durch die Methode ermöglichte bessere Ausnutzung des Vakuumgefäßes ließe sich beinahe eine Verdopplung des Plasmavolumens bei gleichbleibenden Maßen erreichen.

So könnten nicht nur kleinere und günstigere Fusionsreaktoren zur Energieerzeugung gebaut werden, sondern der X-Punkt-Strahler könnte auch Schäden am Divertor verhindern. „ Die zugesetzte Stickstoff-Verunreinigung bringt uns zwar etwas schlechtere Plasmaeigenschaften, aber wenn wir den X-Punkt-Strahler durch Variation des Stickstoffeintrags gezielt platzieren, können wir die Experimente bei höheren Leistungen betreiben, ohne die Anlage zu schädigen„, so Matthias Bernert, der an dem Projekt beteiligt ist.

2024 sollen dann weitere Tests im umgebautes ASDEX-Testreaktor durchgeführt werden. „Wenn die bestehenden Herausforderungen überwunden werden, kann der Compact Radiative Divertor zu einem Gamechanger für Fusionsreaktoren werden – es könnte das Design vereinfachen und die Kosten signifikant verringern„, so die Physiker:innen.

via Max-Planck-Institut für Plasmaphysik

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