In den Vereinigten Staaten sind Schusswaffen in Privatbesitz deutlich weiter verbreitet als hierzulande. Die logische Folge davon: Die Waffen werden auch deutlich häufiger eingesetzt. Für die Sicherheitsbehörden ist dies ein gewaltiges Problem. Einige Städte in den Vereinigten Staaten setzen deshalb auf technologische Unterstützung. In Chicago beispielsweise kommt ein System namens Shotspotter zum Einsatz. Die dahinter stehende Firma hat in der Stadt zahlreiche Sensoren installiert, die alle entstehenden Geräusche erfassen. Ein intelligenter Algorithmus soll dann in der Lage sein, Schüsse zu identifizieren und zu lokalisieren. Diese Daten werden anschließend an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben. Im Idealfall können Einsatzkräfte so direkt zum Ort des Geschehens eilen und möglicherweise Schlimmeres verhindern. Allerdings werden die gewonnenen Daten teilweise auch als Beweismittel vor Gericht verwendet. Ein nun bekannt gewordener Fall zeigt aber, dass dies nicht unproblematisch ist.


Foto: Crime Scene, Alan Cleaver, Flickr, CC BY-SA 2.0

In der fraglichen Nacht kam es in Chicago zu Unruhen

Konkret geht es um den 65-jährigen Michael Williams. Dieser ist bereits vorbestraft, hat sich aber seit vielen Jahren nichts mehr zuschulden kommen lassen. Im Mai 2020 verließ er sein Haus, um an einer Tankstelle Zigaretten zu holen. Dies erwies sich allerdings als schwieriger als gedacht. Denn sechs Tage zuvor verstarb in Minneapolis der Afroamerikaner George Floyd, nachdem ein weißer Polizist zuvor minutenlang auf seinem Hals kniete. Die anschließenden Unruhen breiteten sich auch bis nach Chicago aus. Die Tankstelle, zu der Williams wollte, wurde bei den Protesten zerstört. Der 65-Jährige wendete daher sein Auto und fuhr wieder in Richtung seiner Wohnung. Auf dem Weg sah er den 25-jährigen Safarian Herring aus seiner Nachbarschaft, der darum bat, mitfahren zu dürfen. Williams entschied sich den jungen Mann mitzunehmen. Doch kurz darauf wurde Herring von einem gezielten Pistolenschuss am Kopf getroffen. Obwohl Williams seinen Beifahrer direkt in ein Krankenhaus brachte, verstarb dieser.

Die Ermittler konnten kein Motiv benennen

Drei Monate später wurde der 65-Jährige von der Polizei verhaftet und wegen Mordes angeklagt. Als Beweisstück dienten dabei Bilder einer Überwachungskamera, auf denen Williams zu sehen war. Die Tat selbst oder die Tatwaffe ließen sich dort aber nicht finden. Stattdessen stützten sich die Ermittler auf die Daten der Shotspotter-Software, die zur fraglichen Zeit in unmittelbarer Nähe einen Schuss erfasste. Dadurch geriet Williams ins Visier der Ermittler, obwohl es kein schlüssiges Motiv und keine Augenzeugen gab. Elf Monate saß er im Gefängnis, bis sein Fall endlich vor Gericht gebracht wurde. Der Richter machte dann allerdings schnell klar, dass er die Shotspotter-Daten nicht als Beweismittel zulassen werde. Daraufhin wurde die Anklage zurückgezogen. Dazu beigetragen hat auch die Aussage der Mutter des Opfers. Demzufolge wurde schon wenige Wochen zuvor auf ihren Sohn geschossen. Michael Williams ist jetzt wieder ein freier Mann. Dennoch wirft der Fall einige Fragen auf.


Der vermeintliche Schuss könnte auch ein Feuerwerkskörper gewesen sein

Denn Shotspotter wurde nicht von den Polizeibehörden entwickelt, sondern von einer privaten Firma. Diese behandelt den hinter der Anwendung stehenden Algorithmus als Betriebsgeheimnis. Für unabhängige Experten ist es daher unmöglich, zu prüfen, ob die künstliche Intelligenz tatsächlich so zuverlässig arbeitet wie von dem Unternehmen propagiert. Tatsächlich konnten Williams Anwälte zumindest den Verdacht nähren, dass der vermeintliche Schuss in diesem Fall auch ein Feuerwerkskörper oder ein fehlgezündetes Auto hätte sein können. Hinzu kommt: Die Meldungen der Software werden jeweils noch einmal von einem menschlichen Mitarbeiter angehört und gegebenenfalls bearbeitet. Die Firma versichert zwar, dass dies in Williams‘ Fall nicht passiert sei. Grundsätzlich weckt aber auch dies Zweifel bei der Frage, ob die so generierten Daten tatsächlich vor Gericht genutzt werden sollten. Zahlreiche Richter in den Vereinigten Staaten haben die Verwendung als Beweismittel daher bereits abgelehnt. Der jetzige Fall zeigt aber, dass auch so schon großes menschliches Leid entstehen kann.

Via: AP

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