Gold gilt seit jeher als Symbol für Beständigkeit und Trägheit – ein Metall, das sich gegenüber chemischen Veränderungen immun zeigt. Doch jüngste Experimente am European XFEL in Schenefeld und am SLAC National Accelerator Laboratory offenbaren ein ganz anderes Bild: Unter extremen Bedingungen verwandelt sich Gold in ein aktives Element. Wissenschaftler:innen haben erstmals ein festes Gold-Hydrid hergestellt – eine neuartige Verbindung aus Gold und Wasserstoff – und damit Konventionen in Frage gestellt. Gold wird plötzlich reaktiv Im Europäischen Röntgenlaser (European XFEL) wurden Goldproben gemeinsam mit Kohlenwasserstoffen in einer Diamantstempelzelle Drücken über 40 Gigapascal (GPa) ausgesetzt – das sind Zustände wie in der Tiefe unseres Erdinneren. Begleitet wurde dieser extreme Druck von ultrakurzen Röntgenlaserpulsen, die die Probe auf etwa 2 500 °C erhitzten. Unter diesen Bedingungen reagierte das ursprünglich als träge geltende Gold überraschend mit Wasserstoff, der aus den Kohlenwasserstoffen freigesetzt wurde. Das Ergebnis: ein festes Gold-Hydrid mit der chemischen Formel Au₂Hₓ, dessen Wasserstoffgehalt x mit dem Druck ansteigt und fast den Wert 1 erreichen kann. Mungo Frost vom SLAC fasst es so zusammen: „Wir konnten nachweisen, dass das Gitter der Goldatome oberhalb von 40 GPa eine hexagonal-dicht gepackte Anordnung bildet mit ungeordneten Wasserstoffatomen in den Zwischenräumen.“ Das klingt zunächst technisch, bedeutet aber: Hier fließt Wasserstoff quasi frei durch ein festes Goldgitter – ein Zustand, den die Forscher:innen als superionisch bezeichnen. Dieses Phänomen wurde bislang nur bei stark wasserstoffreichen Materialien beobachtet. Bei einer Goldverbindung ist es allerdings ein Novum. Superionischer Zustand: Wasserstoff auf Abwegen Der superionische Zustand beschreibt ein ungewöhnliches Verhalten: Während das Goldgitter fest bleibt, bewegen sich die Wasserstoffionen nahezu frei darin. Das verleiht der Verbindung eine erhöhte Leitfähigkeit – eine Eigenschaft, die weitreichende Implikationen für Hochdruck-Chemie und Materialforschung haben könnte. Bereits am SLAC war Gold allerdings schon spektakulär über seine Grenzen hinaus beansprucht worden: Mit ultrakurzen Femto- und Pikosekunden-Laserpulsen wurde Gold dort auf rund 19 000 K erhitzt – das ist das Vierzehnfache seines Schmelzpunkts – ohne dass es schmolz oder seine Kristallstruktur verlor. Mit dieser Methode gelang zudem die bislang präziseste Temperaturmessung in solch extrem verdichteten Materialien – ein Meilenstein in der Hochenergie-Dichte-Physik. Die Kombination von Druck, Hitze und Röntgenlaser im XFEL-Experiment zeigt nun, wie Gold in bislang ungeahnte Reaktionsräume vordringt – sobald man die klassischen Grenzen der Thermodynamik verlässt. Was bedeutet das für Forschung und Zukunft? Diese Entdeckung eröffnet völlig neue Fragen und Arbeitsfelder: Zum einen zeigt sie, dass auch vermeintlich „inaktive“ Edelmetalle unter extremen Bedingungen aktiv werden können – mit möglichen Folgen für Chemie-Modelle in Planeteninneren oder Fusionsreaktoren. Die Gold-Hydrid-Verbindung könnte künftig als Modellsystem dienen, um Hochdruck-Hydrogenierungsreaktionen besser zu verstehen. Wie die Forschenden feststellen, zerfällt Goldhydrid beim Abkühlen wieder in gewöhnliches, kubisch-flächenzentriertes Gold – deshalb blieb es vermutlich in früheren Versuchen unentdeckt. Die Stabilität ist also nur bei extremer Hitze gegeben. Ebenso interessant ist, dass diese Reaktivität erst bei einer ganz bestimmten Kombination aus Druck, Temperatur und Laseranregung sichtbar wurde – eine Erinnerung daran, wie viel unentdecktes Terrain sich noch in der Hochdruckchemie öffnen könnte. Mungo Frost betont: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass unter extremen Bedingungen, in denen die Effekte von Temperatur und Druck mit der konventionellen Chemie konkurrieren, möglicherweise noch viele neue chemische Reaktionen zu entdecken sind – einschließlich der Bildung solcher exotischen Verbindungen.“ Eben diese Mischung aus Überraschung und wissenschaftlicher Neugier macht den Reiz dieser Forschung aus. Abschließend eröffnet sich die Möglichkeit, dass ähnliche Phasen auch in anderen Edelmetallen auftreten könnten. Zum Beispiel könnten Superionik-Zustände das Verhalten von Materialien im Inneren großer Planeten oder bei der Fusion beeinflussen. Die Forscher:innen planen bereits weiterführende Experimente, um die chemischen Gesetze in diesen Extremszenarien neu zu kartieren. Insgesamt zeigt das Experiment eindrücklich: Unter der Herrschaft extremer Kräfte wird selbst das ruhigste Metall plötzlich zum Mitspieler einer waghalsigen Chemie-Bühne. Das macht neugierig – und lässt erahnen, wieviel mehr uns im Inneren der Materie noch erwartet. via SLAC National Accelerator Laboratory Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter