Der menschengemachte Klimawandel ist nicht nur nicht mehr von der Hand zu weisen, er ist auch weder fair noch gerecht. Die reichen Industrieländer des globalen Nordens emittieren seit Jahrzehnten große Mengen CO2 in die Atmosphäre und bauen darauf ihren Wohlstand auf. So tragen sie die maßgebliche Verantwortung für die Klimakrise. Die ärmeren Länder im globalen Süden sind dagegen die Hauptleidtragenden dieser Krise, obwohl sie historisch betrachtet nur wenig Verantwortung für den anthropogenen Treibhauseffekt tragen. Schon seit Jahren fordert der globale Süden deshalb von den Industrieländern entsprechende finanzielle Hilfen für die Anpassung an den Klimawandel sowie die Dekarbonisierung ihrer Wirtschaften. Ein Team rund um Andrew Fanning von der University of Leeds sowie Jason Hickel von der London School of Economics and Political Science hat nun einen neuen Ansatz gewählt, um das konkrete Ausmaß der „Klimaschuld“ zu ermitteln, die der globale Norden trägt. Das Ergebnis: Um für einen fairen Ausgleich zu sorgen, müssten den Ländern des globalen Südens etwa 170 Billionen US-Dollar Entschädigung zahlen.


Foto: Earth, Kevin Gill, Flickr, CC BY-SA 2.0

Der Klimawandel ist ungerecht

Diese ungleiche historische Verantwortung ist aus Sicht der Klimagerechtigkeit problematisch, vor allem, wenn man von der Atmosphäre als Gemeingut ausgeht„, schreiben die Forscher:innen in ihrer Analyse. Den Ansatz, den sie wählten, um die Klimaschuld des globalen Nordens zu errechnen, basiert auf dem globalen CO2-Budget der Menschheit, also der Menge an Kohlendioxid, die von 1960 bis 2050 emittiert werden darf, um das 1,5-Grad-Ziel oder das Zwei-Grad-Ziel für die globale Erwärmung noch zu erreichen. Berechnungen zufolge beträgt dieses Budget etwa 1,8 Billionen Tonnen CO2.

Dieses CO2-Budget verteilten sie dann auf die 168 einzelnen Länder, von denen 129 zum globalen Süden und 39 zu den Industrieländern des globalen Nordens inklusive Australien und Neuseeland gehören.


Das Ergebnis ist wenig überraschend: „ Die Gruppe der 39 Industrieländer hat ihren kollektiven fairen Anteil am CO2-Budget für 1,5-Grad schon jetzt um das mehr als Zweieinhalbfache überschritten. Dies gilt für alle Länder des globalen Nordens. Zusammen sind sie für 91 Prozent der kumulativen Emissionsüberschüsse von 1960 bis 2019 verantwortlich„, schreiben die Forscher:innen.

Zu den Ländern, die ihr CO2-Budget bereits überschritten haben, gehört auch Deutschland. Seit 1960 haben wir 2,8 mal so viel CO2 emittiert wie es unser CO2-Budget erlaubt hätte. Bei den USA ist es sogar vier mal so viel. Die meisten Länder des globalen Südens haben ihr Budget indes noch nicht erreicht. Sogar Indien, das heute der größte CO2-Emittent ist, liegt historisch betrachtet erst bei etwa einem Viertel des ihm zustehenden CO2-Budgets.

Finanzielle Kompensationen in Billionenhöhe

Wie wirken sich diese Umstände nun auf Kompensationen aus. Die Forscher:innen ermittelten dies mit Hilfe der CO2-Preise, die der Weltklimarat IPCC in seinem letzten Sachstandsbericht als nötig für das 1,5-Grad-Ziel und die damit verknüpften Maßnahmen deklariert hat. Diese CO2-Preise gelten von 2020 bis 2050. Auf ihrer Basis konnten die Forscher:innen dann den finanziellen Gegenwert ermitteln, der durch den bis 2050 noch zur Verfügung stehenden nationalen CO2-Budgets verkörpert wird. Wenn ein Land sein CO2-Budget ausgeschöpft hat, resultiert jede weitere Emission in zu leistenden Kompensationszahlungen. „ Dabei berücksichtigen wir nur die Kompensation für die ‚Aneignung‘ der Atmosphäre. Die erweiterten Kosten für Klimaanpassungen, Klimaschäden und den Umbau der Wirtschaften kämen theoretisch noch dazu„, erklärt Nickel.

Im Ergebnis, so ermittelten die Wissenschaftler:innen, schulden die Industrieländer dem globalen Süden etwa 170 Billionen US-Dollar an CO-2 Kompensationen. Die erdölfördernden Staaten wie Saudi-Arabien, Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate müssten weitere 22 Billionen US-Dollar zahlen. Bis 2050 müssten damit Jahr für Jahr 6,2 Billionen US-Dollar an Kompensationsleistungen geleistet werden. Dabei entfallen auf die USA die größten Kompensationszahlungen: Sie müssten 7236 US-Dollar pro Kopf und Jahr in den Topf für die Kompensationen einzahlen. Bei Deutschland sind es 4619 US-Dollar pro Person. Indien dagegen hätte einen Anspruch auf insgesamt 57 Billionen US-Dollar aus dem Kompensations-Topf, während die Länder des subsaharischen Afrikas einen Anspruch von etwa 45 Billionen US-Dollar hätten. Sogar China käme noch auf einen Anspruch von 15 Billionen US-Dollar. Die einzelnen Ansprüche und Zahlungspflichten haben die Forscher:innen auf einer Webseite veröffentlicht.

Die Klimaschuld wird wohl nicht beglichen werden

Soziale Bewegungen und Vertreter des globalen Südens argumentieren schon seit langem, dass Staaten mit exzessiven Emissionen Kompensation oder Reparationen für klimabedingte Schäden leisten müssen. Wenn wir alle Länder zu einer schnellen Dekarbonisierung drängen, dann ist es eine Frage der Klimagerechtigkeit, die unfaire Last der nicht für die Klimakrise verantwortlichen Länder zu kompensieren„, erklärt Hickel.

Die Argumentation und Rechnung der Forscher:innen sind einleuchtend. Zu Zahlungen wird das aber wahrscheinlich dennoch nicht führen. „Die Schätzungen von Fanning und Hickel sind unbequem und werden vermutlich nie von irgendjemandem an Machtpositionen der Schuldnerländer anerkannt werden„, kommentiert J. Timmons Roberts vom Institute at Brown for Environment and Society, der nicht an der Studie beteiligt war. Es sei aber dennoch wichtig, zumindest mal auf die tatsächliche Größenordnung der Klimaschuld hinzuweisen. „Die Ergebnisse zeigen, dass künftige Kompensationszahlungen oder Fonds – ob nun freiwillig oder verpflichtend – eher mager aussehen werden im Vergleich zu dem, was wir in Wirklichkeit schulden„, so schließt Roberts.

via University of Leeds

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