Die Mesosphäre – der Bereich der Erdatmosphäre zwischen rund 50 und 100 Kilometern Höhe – zählt zu den am wenigsten erschlossenen Zonen des irdischen Luftraums. Konventionelle Ballons steigen nicht hoch genug, Satelliten kreisen zu weit darüber, und Forschungsraketen liefern nur kurze Momentaufnahmen. Ein Forschungsteam aus Physiker:innen und Ingenieur:innen präsentiert nun eine neuartige Lösungsstrategie: ultraleichte, sonnenlichtbetriebene Mikroplattformen, die dank eines physikalischen Effekts namens Photophorese im extrem dünnen Gas der oberen Atmosphäre schweben können. Ziel sind langfristige, energieautarke Messungen direkt in jener Schicht, die bislang nur schwer zugänglich war. Ben Schafer and Jong-hyoung Kim Funktionsprinzip der Photophorese Der vorgeschlagene Flugmechanismus beruht auf einer Temperaturdifferenz zwischen der Ober- und Unterseite einer hauchdünnen Scheibe. Trifft Sonnenlicht auf die speziell beschichtete Unterseite, erwärmt sie sich stärker als die darüberliegende Seite. In der stark ausgedünnten Luft der Mesosphäre prallen Gasmoleküle an die wärmere Oberfläche, nehmen dabei zusätzliche Energie auf und werden mit größerem Impuls abgestoßen als an der kühleren Seite. Aus dem resultierenden Ungleichgewicht der Molekülstöße entsteht eine Auftriebskraft, die – bei hinreichend niedriger Dichte und geringem Gewicht der Struktur – das Schweben ermöglicht. Die Forschenden fertigen dazu nanostrukturierte Membranen aus extrem dünnen Metallschichten, kombiniert mit lichtabsorbierenden Beschichtungen. Diese Kombination maximiert sowohl die Lichtaufnahme als auch die Robustheit der fragilen Träger. Laboruntersuchungen unter druckreduzierten Bedingungen, die die Mesosphäre nachbilden, zeigen, dass Zentimeter-große Prototypen allein mit Licht genügend Auftrieb erzeugen können, um ihr Eigengewicht auszugleichen. Eine beteiligte Forscherstimme beschreibt den Ansatz als „eine neue Möglichkeit, sehr leichte Objekte mit nichts als Sonnenlicht zu tragen“ – ein Konzept, das die bislang eher theoretisch betrachtete Photophorese in ein konkret nutzbares Flugprinzip überführt. Die aerodynamische Stabilität der flachen Scheiben spielt dabei eine entscheidende Rolle. Strukturierung und Materialwahl sind darauf ausgelegt, Temperaturgradienten effizient zu erzeugen und gleichzeitig das geringe verbleibende Gas in der Mesosphäre für den Impulsaustausch zu nutzen. Durch definierte Mikroperforationen und Sandwich-Aufbauten lassen sich Masse, Steifigkeit und Wärmeleitung so austarieren, dass der photophoretische Schub reproduzierbar entsteht. Nach Aussage eines Teammitglieds „erschließt der Ansatz eine neue Klasse passiver, sonnenlichtgetriebener Geräte“, die speziell für die dünnen Atmosphärenbereiche oberhalb der Stratosphäre optimiert sind. Von der Laborstudie zur flugfähigen Plattform Im Mittelpunkt der Entwicklungsarbeiten steht die Übertragbarkeit aus der Vakuumkammer in reale Einsatzbedingungen. Dazu gehören die Skalierung der Scheibendurchmesser, die Integration kleiner Stromversorgungen für Sensorik sowie die Sicherung der thermischen Kontraste unter wechselnden Einstrahlungswinkeln. Erste Prototypen demonstrieren, dass bereits eine reduzierte Lichtintensität ausreichen kann, um den notwendigen Auftrieb zu erzeugen. Das ist relevant, weil in großer Höhe sowohl Sonneneinfallswinkel als auch atmosphärische Streuung variieren. Parallel dazu arbeiten die Forscher:innen daran, die Plattformen mit Miniatursensoren für Druck, Temperatur, Windgeschwindigkeit und Spurengase auszustatten. Ziel ist es, Datensätze mit hoher zeitlicher Auflösung zu erfassen und so dynamische Prozesse wie Schwerewellen, mesospherische Wolken oder chemische Reaktionspfade besser zu verstehen. Technisch fordern vor allem drei Aspekte die weitere Entwicklung: die Langzeitstabilität der ultradünnen Membranen im Zusammenspiel mit thermischen Zyklen, die Navigation und Positionsbestimmung in einer Region ohne konventionelle Trägerplattformen sowie die sichere Kommunikation mit Bodenstationen. Ansätze reichen von reflektiven optischen Relais bis zu leichten Funkmodulen, die bei günstigen Sichtlinien geringe Sendeleistungen benötigen. Für den Start in die Zielregion kommen mehrstufige Konzepte in Betracht, etwa das Ausbringen aus Höhenballons mit anschließendem Aufstieg durch Sonnenlicht. Auch Abstieg und Bergung werden erprobt, um Hardware zu analysieren und zu verbessern. Mögliche Anwendungen auf Erde und Mars Wissenschaftlich eröffnet die schwebende Plattform die Chance, die Mesosphäre kontinuierlich zu vermessen. Gerade diese Zone beeinflusst den Energietransport in die darunterliegenden Atmosphärenschichten und damit Wetter und Klima. Langfristige In-situ-Daten könnten Klimamodelle präzisieren, etwa durch bessere Parametrisierung von Wellenprozessen und chemischen Kettenreaktionen. Darüber hinaus sind Anwendungen als temporäre Kommunikationsknoten denkbar, etwa zur Weiterleitung von Messdaten in Regionen ohne bestehende Infrastruktur. In der Erdbeobachtung könnten passive, lichtgetriebene Plattformen als Träger für Spektralsensoren dienen, die Spurengase mit hoher vertikaler Auflösung erfassen. Die Übertragbarkeit auf andere Himmelskörper liegt nahe, da dort häufig Druck- und Dichteregime vorherrschen, die dem mesospherischen Bereich der Erde ähneln. Besonders der Mars kommt in Betracht: Seine dünne Atmosphäre und reichlich Sonnenlicht begünstigen Photophorese-basiertes Schweben. Mikroplattformen könnten dort atmosphärische Profile, Staubdynamik oder jahreszeitliche Veränderungen direkt vor Ort vermessen und bestehende Satelliten- und Roverdaten ergänzen. Auch technologisch ist der Ansatz attraktiv, weil die Plattformen ohne klassische Energieversorgung auskommen. Der Verzicht auf Batterien oder Solarpaneele reduziert Masse und Komplexität und erhöht die potenzielle Missionsdauer, solange ausreichende Einstrahlung vorhanden ist. Obwohl die Technologie noch am Beginn steht, deuten die bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass photophoretische Mikroplattformen einen bislang fehlenden Zugang zur Mesosphäre schaffen können. Gelingt es, Fertigung, Sensorintegration und Kommunikation weiter zu stabilisieren, entstünde eine neue Klasse kostengünstiger, passiver Flugträger. Diese könnten den „blinden Fleck“ zwischen Ballon- und Satellitenmessungen schließen und damit eine Lücke in der atmosphärischen Beobachtung schließen, die seit Jahrzehnten besteht. via Harvard School of Engineering and Applied Sciences Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter