Die Fahrradbranche wird zu einem Wirtschaftsfaktor und wächst rasant – nicht erst seit der Corona-Pandemie. Sie muss sich modernisieren, um mit der Nachfrage Schritt zu halten.


Im Frühjahr 2020 bildeten sich in der Corona-Krise vor den Fahrradläden lange Schlangen und die Mechanikerinnen und Mechaniker machten in den Werkstätten Überstunden. An das Telefon gingen einige Geschäftsinhaber gar nicht mehr, da ohnehin schon Wochen im Voraus alle Beratungs- und Werkstatttermine ausgebucht waren. Der Branche brachte der Fahrrad-Boom im Jahr 2020 Rekordumsätze, er machte jedoch ihre Baustellen auch sichtbar. Die Radbranche spielte für Politik und Gesellschaft lange Zeit als Arbeitgeber oder Wirtschaftsfaktor kaum eine Rolle. Die Ausnahme war nur der Fahrradtourismus. Mit 204.000 Mitarbeitern war er 2019 in der Branche die beschäftigungsstärkste Sparte. Allerdings wächst seit dem Aufkommen von dem modernen E-Bike ebenfalls die Bedeutung der Sparten Dienstleistungen, Handel und Herstellung. Frederic Rudolph sagt, dass das E-Bike ein klarer Wachstumstreiber sei. Am Wuppertal Institut hat er eine Marktstudie erstellt, worin die wachsende Bedeutung von der Fahrradbranche belegt wird.


Demnach verdienten 2019 schon 281.000 Menschen rund um das Fahrrad ihren Lebensunterhalt im Dienstleistungsbereich, im Handel oder bei der Herstellung. Im Vergleich zu denjenigen, die in der Bahnbranche arbeiten (269.000 Menschen), sind das mehr. Allein von 2014 bis 2019 stieg die Beschäftigtenzahl um 20 Prozent – und dennoch suchen 5.000 Fahrrad-Fachhändler noch verzweifelt nach Personal. Der Geschäftsführer vom Verbund Service und Fahrrad (VSF), Albert Herresthal sagt, dass tausende Stellen unbesetzt seien, zum Teil schon seit Jahren. Die wirtschaftliche Entwicklung werde dadurch gebremst und im schlechtesten Fall ebenfalls die Verkehrswende.

Hohe Umsätze und Mehrarbeit durch E-Bike

Zwar bringt das E-Bike hohe Umsätze, doch das Personalproblem wird dadurch noch mehr verschärft. Vom Pressedienst Fahrrad sagt Gunnar Fehlau, dass ein E-Bike beratungsintensiv sei. Die Kundinnen und Kunden müssen demnach neben den üblichen Informationen über Bremsen, Schaltung, Fahrkomfort und Licht auch über die Reichweiten der Akkus, die verschiedenen Motorentypen, ihre Wartung und Pflege aufgeklärt werden. Eine Beratung dauert dann statt 30 Minuten schnell ganze anderthalb Stunden. In der Werkstatt setzt sich der Mehraufwand fort. Regelmäßig müssen E-Bikes zum Werkstattcheck, da sonst Garantien auf Motor und Akku verfallen. Es braucht für all das qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aller Voraussicht nach wird sich der Trend zum E-Bike weiter verstärken. Ungefähr jedes dritte in Deutschland verkaufte Fahrrad ist derzeit ein E-Bike. Der Geschäftsführer vom Bundesverband Zukunft Fahrrad (BVZF), Wasilis von Rauch und einer der Auftraggeber der Marktstudie rechnen damit, dass jedes zweite verkaufte Fahrrad langfristig einen Motor hat. Ihr Anteil lag in den Niederlanden schon 2018 bei etwa 40 Prozent. 

In der Branche ist ein weiterer Grund für den Boom das Dienstradleasing. Angestellte können über ihren Arbeitgeber ihr Traumrad bei Leasinganbietern aussuchen. Dabei wird die monatliche Leasingrate direkt vom Bruttolohn abgezogen. Dadurch entsteht eine Steuerersparnis und der Kaufpreis wird reduziert. Laut BVZF haben Diensträder zur Zeit einen Marktanteil von 10 Prozent. Hierbei rechnet von Rauch damit, dass sich dieser Marktanteil bei 25 Prozent einpendeln wird.In der Studie des Wuppertal Instituts spiegeln sich diese Zahlen auch wider. Von 2014 bis 2019 hat sich die Sparte Dienstleistung, zu der das Jobradleasing ebenfalls dazugehört, von 1.000 auf 2.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als verdoppelt. Zudem ist der Umsatz von 80 Millionen Euro auf 560 Millionen Euro gestiegen. Die Leasinganbieter haben anders als der Fachhandel keine Nachwuchssorgen. Das Unternehmen Jobrad, der führende Leasinganbieter, beschäftigt mittlerweile 500 Mitarbeiter im Vertrieb, Leasing, Personal und Support. Es finden sich in diesen Bereichen leichter neue Angestellte als für Werkstätten und Handel.

Vor allem in der kommenden Saison wird es im Handel eng, wenn die Menschen wegen der Pandemie erneut Radtouren unternehmen statt Städtetrips und damit den öffentlichen Nahverkehr meiden. Der Fahrradcoach für den Fachhandel, Gunnar Schmidt sagt, in der Fahrradbranche beginne die Saison, sobald die Thermometer 14 Grad zeigen. Dann beginnt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Werkstatt und im Service der Stress. Schmidt sagt, dass nahezu jeder Händler, den er kenne, Mitarbeiter suche. Jedes Jahr würden 600 Fahrradmechanikerinnen und -mechaniker ausgebildet, doch diese könnten die Lücke nicht füllen. Schmidt empfiehlt, dass die Händler andere Wege gehen müssten, damit sie nicht immer am Limit arbeiteten. 

Branche braucht Modernisierung

Immer noch gehen zahlreiche Händler selbst an das Telefon und mit Kugelschreiben tragen sie die Werkstattermine in den Terminkalender ein. Schmidt sieht hier zum Beispiel Potenzial, in den Handel ebenfalls fachfremdes Personal zu integrieren. Schmidt sagt, es gäbe lediglich zwölf verschiedene Gründe, weshalb Kunden beim Händler anrufen würden. Auch Branchenfremde könnten nach einer Schulung die Fragen beantworten und Termine vergeben. Den Mechanikern verschaffe das mehr Zeit, ihre eigentliche Arbeit zu erledigen. Es sei außerdem eine andere Möglichkeit, die Termine für die Beratung und die Werkstatt online zu vergeben. Der Inhaber von Rad und Tour in Cuxhaven, Thorsten Larschow, hat schon vor zwei Jahren für seinen Betrieb ein digitales Buchungssystem eingeführt. Die Kundinnen und Kunden müssen jedoch mitziehen. Den Service haben vor Corona nur etwa 20 Prozent von den Kunden genutzt, erklärt Larschow. Nun werden seit dem ersten Lockdown fast alle Termine auf diese Weise vergeben. Das ist für Berater Schmidt nur eine von zahlreichen Modernisierungen, die in der Fahrradbranche jetzt durchgeführt werden müssen. Die Baustellen bremsen sonst in der Branche nicht nur das wirtschaftliche Potenzial, sondern ebenso die Verkehrswende. Schmidt sagt, wenn sechs Wochen lang ein Lastenrad nicht repariert werden könne, müssten die Menschen auf andere alternative Verkehrsmittel ausweichen. Dann kann das auch das Automobil sein.

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