In einem bedeutenden Fortschritt für die Teilchenphysik ist es Forschenden am CERN gelungen, ein lange gesuchtes Phänomen mit hoher statistischer Sicherheit nachzuweisen: die gleichzeitige Erzeugung eines Higgs-Bosons mit einem Paar sogenannter Top-Quarks. Die Beobachtung dieser seltenen Reaktion liefert eine direkte Bestätigung für eine zentrale Wechselwirkung im Standardmodell der Teilchenphysik – und eröffnet neue Möglichkeiten, die Eigenschaften des Higgs-Bosons und potenzielle Abweichungen vom etablierten Modell zu untersuchen.


Bild: Julia Münstermann („Toponium, 2025, Cyanotypie“)

Ein seltener Prozess mit großer Bedeutung

Das Higgs-Boson wurde 2012 am Large Hadron Collider (LHC) entdeckt. Seither arbeiten Forschungsteams weltweit daran, seine Eigenschaften und seine Rolle im Gefüge der bekannten Teilchenkräfte genauer zu bestimmen. Ein zentrales Thema ist die sogenannte Kopplung des Higgs-Bosons an andere Teilchen – insbesondere an das Top-Quark, das schwerste der bekannten Elementarteilchen.

Im Standardmodell ist vorhergesagt, dass das Higgs-Feld Teilchen Masse verleiht und dass diese Wechselwirkung bei massereicheren Teilchen besonders stark ausgeprägt ist. Für das Top-Quark sollte diese Kopplung entsprechend stark sein. Direkte Belege dafür fehlten jedoch bislang, da die gemeinsame Produktion eines Higgs-Bosons mit einem Top-Quark-Paar – kurz ttH-Produktion – extrem selten ist und sich nur schwer vom Hintergrundrauschen in den Daten unterscheiden lässt.


Nun ist es sowohl den Teams des ATLAS- als auch des CMS-Experiments gelungen, aus den umfassenden Datensätzen des LHC-Betriebs zwischen 2015 und 2018 klare Hinweise auf diese ttH-Ereignisse herauszuarbeiten. Die statistische Signifikanz liegt bei 6,1 Standardabweichungen – deutlich über dem etablierten Schwellenwert von fünf, ab dem in der Physik von einer Entdeckung gesprochen wird.

Präzise Analysen an zwei Experimenten

Sowohl das ATLAS- als auch das CMS-Experiment am LHC verfügen über gewaltige Detektoren, mit denen die Kollisionen hochenergetischer Protonen analysiert werden. Die dabei entstehenden Datenmengen sind enorm – allein in der aktuellen Analyse wurden mehrere Millionen Kollisionsereignisse ausgewertet, um jene wenigen Fälle zu isolieren, in denen ein Higgs-Boson gemeinsam mit einem Top-Quark-Paar produziert wurde.

Besonders herausfordernd war es, diese Ereignisse sicher vom Hintergrund zu unterscheiden. Denn die Signatur solcher Prozesse – etwa der Zerfall des Higgs-Bosons in zwei Photonen oder in ein Paar b-Quarks – lässt sich auch durch andere Prozesse im Detektor imitieren. Deshalb mussten die Forscherteams auf ausgeklügelte statistische Verfahren und umfangreiche Simulationen zurückgreifen.

„Diese Messung bestätigt, dass das Higgs-Boson tatsächlich stark mit dem Top-Quark wechselwirkt“, sagt Luca Cadamuro vom ATLAS-Team. Das sei ein wichtiger Test für die innere Konsistenz des Standardmodells – und ein potenzieller Anknüpfungspunkt für neue Theorien. Auch das CMS-Team, zu dem unter anderem Forschende der Universität Hamburg gehören, spricht von einem entscheidenden Schritt. „Diese Ergebnisse liefern eine der genauesten Bestimmungen der Higgs-Top-Kopplung, die bisher erreicht wurden“, erklärt Physikprofessor André Schöning.

Perspektiven für die Zukunft der Teilchenphysik

Der erfolgreiche Nachweis der ttH-Produktion ist mehr als eine Bestätigung bestehender Theorien. Er erlaubt auch eine präzisere Messung der Kopplungsstärke zwischen dem Higgs-Boson und dem Top-Quark – eine Größe, die in der Theorie des Higgs-Mechanismus eine zentrale Rolle spielt. Abweichungen vom vorhergesagten Wert könnten Hinweise auf neue physikalische Prozesse geben, etwa auf die Existenz zusätzlicher Higgs-Teilchen oder auf noch unbekannte Wechselwirkungen jenseits des Standardmodells.

Für die weitere Forschung ist die jetzt erzielte Genauigkeit eine wichtige Grundlage. Mit den Daten des kommenden LHC-Laufes (Run 3) und dem geplanten High-Luminosity-LHC (HL-LHC) wird sich die Empfindlichkeit der Experimente nochmals deutlich erhöhen. Damit könnten auch subtilere Effekte sichtbar werden, etwa Korrekturen durch Schleifenprozesse, an denen noch unbekannte Teilchen beteiligt sein könnten.

Die aktuelle Beobachtung stellt einen weiteren wichtigen Baustein in der experimentellen Erforschung des Higgs-Bosons dar. Zugleich zeigt sie, wie leistungsfähig die heutigen Detektoren und Analysemethoden geworden sind – und wie viel Potenzial die Teilchenphysik auch mehr als zehn Jahre nach der Entdeckung des Higgs-Bosons noch birgt.

via Universität Hamburg

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