Die kalte Kernfusion gilt seit Jahrzehnten als wissenschaftliches Reizthema. Nachdem die ersten Berichte Ende der 1980er Jahre große Hoffnungen weckten, folgte schnell Ernüchterung: Die damals angekündigten Ergebnisse konnten nicht reproduziert werden, das Forschungsfeld geriet in Verruf. Nun melden Forscher:innen der University of British Columbia (UBC), dass es gelungen ist, mit einem neu entwickelten Tischreaktor die Wahrscheinlichkeit von Fusionsprozessen bei moderaten Bedingungen zu erhöhen. Zwar ist der Effekt noch klein, doch er deutet darauf hin, dass bestimmte elektrochemische Methoden einen Beitrag zur Kernfusionsforschung leisten können. Bild: University of British Columbia Ein Reaktor im Labormaßstab Im Mittelpunkt steht der sogenannte „Thunderbird-Reaktor“, ein kompaktes Gerät, das eine Plasmaquelle mit einer elektrochemischen Zelle kombiniert. In diesem Aufbau werden Deuterium-Atome in ein Metallgitter eingebracht und dort stark verdichtet. Ein geringer elektrischer Strom genügt, um eine hohe Konzentration des Fusionsbrennstoffs im Metall zu erreichen. Laut Projektleiter Curtis P. Berlinguette lässt sich mit nur einem Volt Stromzufuhr eine Dichte erzielen, für die ansonsten rund 800 Atmosphären Druck erforderlich wären. In dieser Umgebung stieg die Zahl der beobachteten Fusionsereignisse um etwa 15 Prozent an. Der Effekt ist nicht groß, aber klar messbar und zeigt, dass sich die Reaktionsbedingungen durch elektrochemische Methoden gezielt beeinflussen lassen. Die Besonderheit des Ansatzes liegt nicht darin, sofort nutzbare Energiemengen zu erzeugen, sondern in der Kontrolle der Bedingungen. Der Thunderbird-Reaktor erlaubt es, die Materialeigenschaften und den Brennstoffeintrag systematisch zu variieren. Damit wird eine Plattform geschaffen, auf der sich theoretische Überlegungen experimentell überprüfen lassen – ein wichtiger Schritt in einem Forschungsfeld, das lange Zeit von schwer reproduzierbaren Beobachtungen geprägt war. Kalte Fusion: Ein Reizthema in der Wissenschaft Die Vorstellung, Kernfusion bei Raumtemperatur zu ermöglichen, reicht weit zurück. 1989 sorgten Martin Fleischmann und Stanley Pons für weltweites Aufsehen, als sie berichteten, in einem elektrochemischen Experiment mit Palladium überschüssige Wärme beobachtet zu haben, die sie der Kernfusion zuschrieben. Doch die Ergebnisse konnten von anderen Arbeitsgruppen nicht bestätigt werden. Die sogenannte „kalte Fusion“ wurde bald als nicht haltbar eingestuft und in die Nähe von Pseudowissenschaft gerückt. Dennoch blieb die Idee bestehen, und immer wieder versuchten Forscher:innen, neue Wege zu finden, um die Reaktionen unter moderaten Bedingungen nachzuweisen. Auch größere Forschungsinitiativen nahmen sich des Themas an. Eine von Google unterstützte Gruppe untersuchte 2015 verschiedene Experimente und konnte die früheren Behauptungen zwar nicht bestätigen, identifizierte aber mehrere interessante Ansätze für die Materialforschung. Diese Arbeit trug dazu bei, das Thema wieder in einem nüchternen, experimentell orientierten Rahmen zu betrachten. Die aktuellen Ergebnisse aus Vancouver knüpfen hier an und grenzen sich zugleich klar von den problematischen Studien der Vergangenheit ab. Statt fragwürdiger Wärmesignale dokumentieren sie messbare Neutronen, die als eindeutiger Hinweis auf Fusionsprozesse gelten. Neuer Aufwind für eine alte Idee Der Thunderbird-Reaktor liefert keinen Beitrag zur Energieversorgung. Die erzeugte Leistung liegt bei winzigen Größenordnungen von rund 10⁻⁹ Watt bei einem Energieeintrag von 15 Watt. Die Bedeutung liegt vielmehr in der Möglichkeit, experimentelle Parameter präzise einzustellen und dadurch die Grundlagen der Fusion unter ungewohnten Bedingungen zu erforschen. „Wir laden viel mehr Deuterium in das Metall hinein – wie Treibstoff in einen Schwamm drücken. Ein Volt Strom erzielt, was sonst 800 Atmosphären Druck bewirken“, erklärt Berlinguette. Solche reproduzierbaren, quantitativ erfassbaren Effekte können helfen, offene Fragen der Kernphysik zu beantworten. Langfristig eröffnet sich damit ein neuer Forschungsweg, der nicht mit den großtechnischen Anlagen konkurriert, die unter hohen Temperaturen und Magnetfeldern arbeiten. Vielmehr ergänzt er diese, indem er neue Einblicke in das Verhalten von Wasserstoffisotopen in Metallen liefert. Ob daraus jemals ein praktisches Verfahren für die Energiegewinnung entstehen kann, ist offen. Doch schon die Tatsache, dass es gelingt, Fusionsraten bei moderaten Bedingungen nachweislich zu erhöhen, stellt einen Fortschritt dar. Für die Wissenschaft ist dies ein Signal, die kalte Fusion nicht länger nur als Irrweg der Vergangenheit zu betrachten, sondern als Feld, in dem seriöse Forschung durchaus Erkenntnisse liefern kann. Damit erfährt ein lange umstrittenes Thema eine neue Bewertung. Es bleibt dabei: Die Lösung des Energieproblems wird hier nicht unmittelbar entstehen. Aber die Experimente zeigen, dass selbst in einem vermeintlich abgeschlossenen Kapitel der Wissenschaft noch Potenzial steckt. Ob der kleine Reaktor aus Vancouver eines Tages mehr als ein Hilfsmittel für die Grundlagenforschung sein wird, wird sich erst zeigen. Im Moment aber ist er ein Hinweis darauf, dass selbst alte Ideen in einem neuen Licht betrachtet werden können. via UBC, Gizmodo Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter