Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) zählt zu den häufigsten Ursachen für schweren Sehverlust im höheren Lebensalter. Durch den fortschreitenden Untergang der Photorezeptoren im Zentrum der Netzhaut verlieren Betroffene die Fähigkeit, in der Mitte ihres Blickfelds scharf zu sehen. Nun zeigt ein neuartiges Implantat kombiniert mit einer Spezialbrille erstmals, dass sich dieses zentrale Sehvermögen zumindest teilweise wiederherstellen lässt – ein Durchbruch, der zuvor kaum denkbar schien.


Bild: University College London

Ein Zusammenspiel aus Implantat und Brille

Das von einem internationalen Forscher:innenteam entwickelte System besteht aus einem winzigen Chip, der unter der Makula implantiert wird. Eine Kamera in einer externen Brille erfasst die Umgebung, wandelt die Bilder in Infrarotsignale um und projiziert sie auf den Chip. Dieser sendet elektrische Impulse an die nachfolgenden Nervenzellen der Netzhaut, die die Informationen an das Gehirn weiterleiten. Dadurch übernimmt das Implantat teilweise die Funktion der zerstörten Sinneszellen.
„Frühere Implantate konnten meist nur Licht und Schatten unterscheiden, aber keine Formen“, erklärte Projektleiter Daniel Palanker von der Stanford University. „Wir sind die ersten, die wirkliches Formensehen ermöglichen.“ Dank der drahtlosen Energieübertragung über Infrarotlicht kommt das System ohne Kabel oder Stromquelle im Auge aus – ein entscheidender Fortschritt gegenüber früheren Modellen.

Patient:innen können wieder lesen

In ersten klinischen Studien zeigte sich, dass 27 von 32 Patient:innen mit fortgeschrittener AMD bereits nach einem Jahr wieder Buchstaben oder Wörter erkennen konnten. Mehr als 80 Prozent der Teilnehmenden erlangten funktionale zentrale Sehfähigkeiten zurück. Das Lesen von mittelgroßen Texten und das Erkennen von Schildern im Alltag wurde möglich, auch wenn die Sehschärfe noch weit von einem gesunden Auge entfernt ist.
Die Forscher:innen der Universität Bonn bestätigten in einer begleitenden Untersuchung, dass die zentrale Sehverarbeitung im Gehirn wieder aktiviert werden kann. Damit gilt erstmals als belegt, dass das menschliche visuelle System auch nach langjähriger Blindheit durch gezielte elektrische Reize reaktivierbar ist.


Perspektiven und Grenzen

Noch ist das Verfahren ausschließlich Teil klinischer Studien. Langzeitdaten fehlen, und es bleibt offen, wie lange das Implantat im Auge stabil funktioniert. Zudem ist umfangreiches Training erforderlich, um das ungewohnte elektrische Sehen richtig zu interpretieren. Farbwahrnehmung und Auflösung bleiben begrenzt, und die Kosten könnten anfangs hoch sein.
Trotz dieser Einschränkungen sehen Fachleute in der Technik einen Meilenstein. Nach Jahrzehnten erfolgloser Versuche scheint erstmals eine echte Teilwiederherstellung des Sehens möglich. Für viele Betroffene bedeutet das keine vollständige Heilung – aber die Chance, wieder lesen, erkennen und selbstständig leben zu können.

 

via Universität Bonn

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