In den vergangenen Wochen musste die Weltgemeinschaft die Erfahrung machen, dass ungelöste Konflikte auch nach vielen Jahren noch zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen können. So eskalierte der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach. Krieg gab es dort bereits in den Jahren 1991 bis 1994. Anschließend wurde das Gebiet – das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört – von Armenien besetzt. Seitdem galt der Konflikt eigentlich als eingefroren. Doch in diesem Jahr begann Aserbaidschan mit einer Militäroffensive und eroberte weite Teile des Gebiets zurück. Erst ein von Russland durchgesetzter Waffenstillstand beendete den Krieg. Wie lange die Ruhe allerdings anhält, lässt sich im Moment nur schwer sagen. Denn in Armenien gibt es heftige Proteste gegen die Bedingungen des Waffenstillstands. Für die Weltgemeinschaft dürfte dieses Beispiel eine Lehre sein: Auch Konflikte, die über Jahrzehnte nur unter der Oberfläche schwelen, können schlagartig wieder blutig werden.


Bild: Western_sahara_walls_moroccan.png: User:RokeWestern_Sahara_location_map.svg: NordNordWestderivative work: M0tty, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons

Ein Geheimvertrag verhinderte die Unabhängigkeit der Kolonie

Eine ähnliche Situation droht nun in der Westsahara zu entstehen. Dort reicht die Geschichte sogar bis in das 1975 zurück. Damals war das südlich von Marokko gelegene Gebiet noch eine spanische Kolonie. Längst war aber klar, dass europäische Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent keine große Zukunft mehr hatten. Die Regierung entschied sich allerdings gegen den sonst üblichen Weg und entließ das Gebiet nicht einfach in die Unabhängigkeit. Stattdessen wurde es in einem Geheimvertrag zwischen Marokko und Mauretanien aufgeteilt. Der marokkanische König organisierte daraufhin den sogenannten „Grünen Marsch“, bei dem 350.000 Marokkaner in das umstrittene Gebiet einzogen und dieses somit für ihr Land reklamierten. Gleichzeitig rief die Befreiungsfront Frente Polisario aber auch die unabhängige „Demokratische Arabische Republik Sahara“ aus. Während sich Mauretanien wenige Jahre später aus dem Gebiet zurückzog, kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der marokkanischen Armee und der Polisario-Front, die erst durch einen Waffenstillstand 1991 beendet wurden.

Vermittlungsversuche der UN scheiterten vor mehr als 20 Jahren

Seitdem ist das Territorium faktisch aufgeteilt. Der größte Teil wird von Marokko besetzt, während die Polisario einen Streifen im Osten und Süden des Landes unter ihrer Kontrolle haben. Eigentlich war nun vorgesehen, ein Referendum abzuhalten, um den endgültigen Status der Region zu klären. Dazu kam es aber trotz entsprechender Bemühungen der Vereinten Nationen nie. Offiziell scheiterte dies daran, dass man sich nicht darüber einigen konnte, wer überhaupt wahlberechtigt sein sollte. Beobachter gehen aber davon aus, dass die marokkanische Regierung ohnehin kein besonders großes Interesse an einer Veränderung des Status Quo besitzt. Der letzte Vermittlungsversuch der UN endete daher Ende der 1990er Jahre. Seitdem gilt der Konflikt als eingefroren, während die Westsahara offiziell noch immer als nicht entkolonisalisiertes Gebiet tituliert wird. Doch die Hoffnung, dass sich alle Beteiligten mit der aktuellen Situation arrangieren würden, könnte sich als trügerisch erweisen. Denn die Polisario-Front hat den Waffenstillstand nun aufgekündigt.

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Die Befreiungsfront blockierte eine wichtige Versorgungsstraße

Eigenen Angaben zufolge griff sie sechs Stellungen der marokkanische Armee entlang des riesigen Sandwalls an, der die jeweils kontrollierten Gebiete voneinander trennt. Dabei sollen auch gegnerische Soldaten getötet worden sein. Dies lässt sich aktuell aber nicht verifizieren. Die marokkanische Regierung reagierte zunächst zurückhaltend auf die sich verändernde Situation. Man antworte zwar auf die militärischen Provokationen, halte sich aber ansonsten an den vereinbarten Waffenstillstand, hieß es in Rabat. Anlass für die Aufkündigung des Waffenstillstands war eine Auseinandersetzung um eine wichtige Straße. Diese verbindet den von Marokko besetzten Teil der Westsahara mit Mauretanien und führt durch eine von der UN kontrollierte Pufferzone. Mehr als zwei Wochen lang wurde die Verkehrsverbindung von der Polisario-Front blockiert. Dann schickte die marokkanische Regierung Einsatzkräfte dorthin und ließ die Straße räumen. Bei der Aktion kam es auch zum Einsatz von Schusswaffen auf beiden Seiten.

Hunderttausende Menschen leben in Flüchtlingslagern

Aktuell lässt sich nur schwer sagen, wie ernst es der Polisario-Front tatsächlich mit einer groß angelegten militärischen Auseinandersetzung ist. Sprecher der Befreiungsbewegung verweisen aber immer wieder darauf, dass der Konflikt ungelöst ist und großes Leid mit sich bringt. So leben noch immer rund 170.000 Menschen in Flüchtlingslagern im Süden Algeriens. Viele von ihnen wurden schon dort geboren, möchten aber dennoch in die Heimat ihrer Eltern zurück. Außerdem wird der marokkanischen Regierung vorgeworfen, die Rohstoffe der Westsahara auszubeuten, ohne dass die Menschen in dem Gebiet davon profitieren. Aus Sicht der Befreiungsbewegung gibt es also durchaus einige Gründe, die für den Versuch sprechen, den aktuellen Zustand zu verändern. Gleichzeitig ist unklar, ob ein offener Krieg gegen die gut ausgerüstete marokkanische Armee überhaupt zu gewinnen wäre. Die Weltgemeinschaft täte auf jeden Fall gut daran, dem Konflikt wieder mehr Beachtung zu schenken und aktiv auf eine Lösung hinzuwirken.

Via: taz

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