Die Gletscher in den Alpen gelten als besonders empfindliche Indikatoren des Klimawandels. Kaum eine andere Landschaft Europas zeigt so deutlich, wie rasch steigende Temperaturen natürliche Systeme verändern. Seit Jahrzehnten verlieren die alpinen Eismassen kontinuierlich an Volumen, doch aktuelle Studien deuten darauf hin, dass sich dieser Prozess weiter beschleunigt. Ganze Gletscher drohen innerhalb weniger Jahre vollständig zu verschwinden, was die Alpen zu einer der am stärksten betroffenen Regionen weltweit macht.


Beschleunigter Rückgang und absehbare Verluste

Neue Modellrechnungen unter Beteiligung der ETH Zürich haben erstmals systematisch untersucht, wie lange einzelne Gletscher unter verschiedenen Klimaszenarien noch existieren können. Dabei wird deutlich, dass insbesondere Regionen mit vielen kleinen Gletschern, wie die Alpen, vor einem massiven Verlust stehen. Bereits im kommenden Jahrzehnt könnte dort mehr als die Hälfte der heute noch vorhandenen Gletscher verschwinden. Der Glaziologe Lander Van Tricht beschreibt die Lage entsprechend drastisch: „In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren werden in den Alpen mehr Gletscher verschwinden als je zuvor.“


Der Rückzug betrifft nicht nur Randbereiche, sondern zunehmend auch die Substanz der Gletscher selbst. Zwar existieren in den Alpen derzeit noch mehrere Tausend Eisflächen, doch ihre Zukunft ist stark vom weiteren Temperaturanstieg abhängig. Selbst bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad würde nur ein kleiner Teil der heutigen Gletscher langfristig erhalten bleiben. Steigt die Temperatur weiter an, schrumpft diese Zahl drastisch. Große und bekannte Gletscher könnten zwar länger bestehen als kleine Eisfelder, würden aber ebenfalls stark an Fläche und Dicke verlieren.

Klimatische Ursachen und regionale Besonderheiten

Der Hauptgrund für den beschleunigten Gletscherschwund liegt in der steigenden Lufttemperatur. In den Alpen hat sich das Klima seit dem 20. Jahrhundert deutlich stärker erwärmt als im globalen Durchschnitt. Diese sogenannte alpine Verstärkung führt dazu, dass Schnee früher schmilzt und die sommerliche Schmelzperiode länger andauert. Gleichzeitig reicht der winterliche Schneefall immer häufiger nicht aus, um die Verluste auszugleichen.

Entscheidend ist dabei die sogenannte Massenbilanz der Gletscher, also das Verhältnis zwischen neu gebildetem Schnee und abgeschmolzenem Eis. Seit vielen Jahren ist diese Bilanz klar negativ. Selbst schneereiche Winter können daran kaum etwas ändern, wenn darauf extrem warme Sommer folgen. Hinzu kommen Rückkopplungseffekte: Mit abnehmender Eisfläche sinkt die Rückstrahlung des Sonnenlichts, dunkler Fels und Boden erwärmen sich stärker, was die Schmelze zusätzlich beschleunigt.

Folgen für Naturraum und Gesellschaft

Das Verschwinden der Gletscher bleibt nicht ohne Folgen für Umwelt und menschliche Nutzung. Gletscher fungieren als natürliche Wasserspeicher, die insbesondere in heißen Sommern Schmelzwasser in Flüsse einspeisen. Mit ihrem Rückgang verändern sich Abflussmuster, was langfristig zu Wasserknappheit in bestimmten Regionen führen kann. Ökosysteme, die an konstante Wasserzufuhr angepasst sind, geraten dadurch unter Druck.

Auch die Stabilität des Hochgebirges verändert sich. Wenn Eis und Permafrost verschwinden, verlieren Felswände an Halt. Die Gefahr von Steinschlägen, Felsstürzen und Muren nimmt zu. Solche Ereignisse haben in den Alpen bereits wiederholt Infrastrukturen beschädigt und Siedlungen bedroht. Gleichzeitig wandelt sich das Landschaftsbild grundlegend, was nicht zuletzt den alpinen Tourismus betrifft. Gletscher, lange Zeit prägende Elemente und Attraktionen, werden in vielen Regionen nur noch als Relikte existieren.

Insgesamt zeigen die aktuellen Forschungsergebnisse, dass der Gletscherschwund in den Alpen in eine neue Phase eingetreten ist. Der Verlust verläuft schneller und umfassender als lange angenommen. Wie viele Gletscher langfristig erhalten bleiben, hängt maßgeblich davon ab, wie stark sich die Erde weiter erwärmt. Fest steht jedoch bereits heute, dass die Alpenlandschaft der Zukunft deutlich weniger Eis tragen wird als jene, die noch vor wenigen Jahrzehnten als selbstverständlich galt.

 

via ETH Zürich

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