Unser Gehirn ist formbarer, als viele von uns glauben. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass Psychotherapie nicht nur Seele und Psyche in Bewegung bringt, sondern buchstäblich graue Substanz im Hirn – insbesondere in emotional relevanten Bereichen – wachsen lässt. Die Studie stärkt den Wert von psychotherapeutischen Behandlungsansätzen gegenüber medikamentöser Behandlung.


Brain Scan
Foto: MRT Scans, Gerwin Sturm, Flickr, CC BY-SA 2.0

Wie Psychotherapie Hirnstruktur sichtbar verändert

Forscher:innen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Universität Münster haben erstmals belegt, dass kognitive Verhaltenstherapie bei Patient:innen mit akuter Depression sichtbare Veränderungen in der Hirnstruktur bewirkt. In ihrer Studie, veröffentlicht in Translational Psychiatry, wurden je 30 Patient:innen sowie eine Kontrollgruppe vor und nach 20 Sitzungen Verhaltenstherapie mittels struktureller Magnetresonanztomographie untersucht. Das Ergebnis: Bei 19 der Betroffenen war die akute depressive Symptomatik nach der Therapie kaum noch vorhanden, und zugleich zeigte sich eine signifikante Zunahme des Volumens grauer Hirnmasse speziell in der linken Amygdala und im vorderen rechten Hippocampus.

Wir haben eine deutliche Zunahme des Volumens grauer Hirnmasse in der linken Amygdala und im vorderen rechten Hippocampus festgestellt“, so Esther Zwiky von der MLU. „Dass die kognitive Verhaltenstherapie wirkt, war bereits bekannt. Jetzt haben wir erstmals einen validen Biomarker für den Effekt… Psychotherapie verändert das Gehirn“, ergänzt Prof. Dr. Dr. Ronny Redlich. Das ist deshalb bedeutsam, weil solche strukturellen Effekte bislang vor allem bei medikamentösen oder elektrostimulativen Verfahren nachgewiesen waren.


Warum das wichtig ist – aus neurobiologischer Perspektive

Diese Befunde unterstreichen, dass Psychotherapie nicht nur psychisch, sondern auch physisch wirksam ist – und zwar auf zellulärer Ebene. Das Konzept der Plastizität, also der Fähigkeit des Gehirns, sich strukturell und funktionell zu reorganisieren, wird hier eindrucksvoll bestätigt. Im Hippocampus kann erwiesenermaßen auch im Erwachsenenalter Neurogenese stattfinden, das heißt Neubildung von Nervenzellen, abhängig von Reizen wie körperlicher Aktivität oder Stressreduktion. Der beobachtete Zuwachs grauer Substanz könnte also auf eine Kombination aus verstärkter Neurogenese und erhöhter synaptischer Vernetzung zurückzuführen sein.

Gerade im limbischen System – zu dem Hippocampus und Amygdala gehören – liegt der Fokus auf Emotionen, Gedächtnis und Stressverarbeitung. Wenn dort durch psychotherapeutische Interventionen stoffliche Veränderungen nachweisbar sind, stärkt das die Legitimation der Psychotherapie als medizinisch fundierte Behandlung – nicht bloß als bloßes Reden oder psychoanalytisches Gefühlswirrwarr.

Ergebnisse stärken die Psychotherapie als Behandlungsmethode

Dass Psychotherapie nicht nur „im Kopf wirkt“, sondern auch materiell im Gehirn Spuren hinterlässt, eröffnet neue Horizonte für Diagnostik und Therapie. Möglich wäre langfristig etwa der Einsatz bildgebender Verfahren als objektive Biomarker, die nicht nur Therapieerfolg messen, sondern auch personalisierte Behandlungswege begründen helfen. Darüber hinaus stärkt der Befund den Stellenwert psychotherapeutischer Ansätze als gleichwertig zu pharmakologischen oder neurostimulativen Methoden.

Die Studie wurde von namhaften Institutionen gefördert und macht klar: Wer Psychotherapie “zur Seite schieben” will, übersieht einen solide belegten neurobiologischen Wirkauftakt. Wenn Psychotherapie in manchen Fällen sogar messbar graue Substanz wachsen lässt und damit Krankheitssymptome lindert, dann ist das nicht nur fürs Gehirn ein Gewinn, sondern auch für den therapeutischen Diskurs.

via Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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