Der erdnahe Orbit ist längst kein geordneter Raum mehr, sondern eine tückische Müllhalde. Schon heute kreisen zehntausende, eher noch hunderttausende Fragmente aus ausgedienten Satelliten, Raketenstufen oder Trümmern auf unterschiedlichen Bahnen um unseren Planeten. In diesem turbulenten Umfeld arbeitet ein europäisches Forschungsprojekt mit beeindruckender Technik, die Idee vom geckohaften Greifen in die Wirklichkeit zu übersetzen. Unter dem Kürzel „gEICko“ entsteht so ein Satellit, der mithilfe geckoartiger Haftpads Weltraumschrott greifen und aus der Umlaufbahn entfernen soll. Gecko-Pads statt Harpunen – eine andere Herangehensweise Bekannt waren bisher vor allem zwei Prinzipien: Netze und Harpunen, wie sie etwa vom RemoveDEBRIS-Projekt demonstriert wurden. Dort zeigte eine Harpune, dass man Trümmer anbohren kann, und ein Netz fing per Ballon simuliertes Trümmerobjekt ein. Doch gEICko geht einen anderen Weg: Inspiriert von den winzigen, millionenfach verteilten Härchen an Gecko-Füßen, nutzen die Forscher:innen synthetische Haftflächen, die über van-der-Waals-Kräfte mit Trümmeroberflächen haften. Dieses Haftprinzip funktioniert ohne chemische Klebstoffe und ist dadurch wiederverwendbar. Laut Projektbeteiligten ist dies ein entscheidender Vorteil: „Wir können die Greifarme mehrfach an- und absetzen, ohne das Zielobjekt zu beschädigen.“ Die Natur liefert damit ein Vorbild, das im Weltraum besonders geeignet scheint. Geckos können kopfüber an Wänden laufen, weil ihre feinen Härchen große Kontaktflächen erzeugen, die schwache intermolekulare Kräfte bündeln. Im All, wo herkömmliche Klebstoffe durch extreme Temperaturwechsel oder Vakuumbedingungen unzuverlässig wären, eröffnet diese Technik neue Chancen. Hinzu kommt, dass sich Gecko-Pads auf vielen verschiedenen Oberflächen einsetzen lassen – ob glattes Metall oder raue Verbundstoffe. Verschiedene europäische Institutionen arbeiten zusammen Ein entscheidendes Problem beim Einfangen frei schwebender Objekte ist die unkoordinierte Bewegung: Ein kleiner Stoß kann bereits genügen, um das Objekt in eine unerwünschte Flugbahn zu katapultieren. Die geckoähnliche Technik reduziert genau diese Risiken. Die Haftflächen haften gezielt mit leichter Druckausübung, während ein Lastverteilungssystem sicherstellt, dass die Kräfte gleichmäßig auf die Struktur wirken – andernfalls könnte eine Haftfläche nachlösen und die gesamte Verbindung gefährden. So entsteht eine stabile, aber zugleich reversible Verbindung. Das Projekt vereint dabei die Expertise verschiedener europäischer Forschungseinrichtungen. Beteiligt sind unter anderem die Universität Würzburg und die Technische Universität Berlin, die den Verbund koordinieren. Auf kleiner Ebene werden derzeit Prototypen getestet, bevor ein erster Praxiseinsatz im Orbit ansteht. Die Forscher:innen erhoffen sich damit auch Erkenntnisse für weitere Anwendungen. So könnten die Haftpads eines Tages nicht nur Weltraumschrott greifen, sondern auch beim Bau oder bei der Wartung von Raumstationen nützlich sein. Denkbar wäre etwa, dass Serviceroboter Module festhalten oder Solarpaneele stabilisieren. Weltraumschrott als globale Herausforderung Mit jedem neuen Satellitenstart steigt die Menge an Müll im niedrigen Erdorbit weiter an. Heute werden allein Objekte ab zehn Zentimetern Durchmesser in der Größenordnung von über 50.000 gezählt. Gleichzeitig wächst das Risiko von Kollisionen, wie mehrere Ausweichmanöver der Internationalen Raumstation belegen. Rückblickend zeigt das Scheitern älterer ESA-Pläne wie der Mission e.Deorbit, warum neue Ansätze nötig sind. gEICko und auch andere Projekte wie ClearSpace-1, die mit einer Klauenstruktur auf Trümmer zielen, bilden deshalb eine neue Generation von „Aufräum-Satelliten“. gEICko lässt sich deshalb nicht als isoliertes Experiment verstehen, sondern als Teil eines wachsenden technologischen Spektrums zur aktiven Entfernung von Weltraumschrott. Die geckoinspirierten Hafttechniken könnten sich ähnlich wie Greifarme oder Klauen ergänzend einreihen. Sicher ist: Weltraumschrott ist kein Randthema mehr, sondern eine Herausforderung, die innovative Lösungen erfordert – von Netzen über Haftpads bis zu komplexen Greifarmen. Ob daraus eines Tages Routine im Orbit wird, entscheidet sich erst durch weitere Tests und schließlich einen Einsatz. Aber bereits jetzt zeigt gEICko, dass sich altbekannte Naturprinzipien wie Gecko-Füße neu interpretieren lassen – und in der Raumfahrt hilfreiche Funktion übernehmen können. Ein Schritt, der Raumfahrtwissenschaft und Biomechanik miteinander verbindet und damit zeigt, wie stark interdisziplinäre Ideen die Zukunft prägen können. via Julius-Maximilians-Universität Würzburg Teile den Artikel oder unterstütze uns mit einer Spende. Facebook Facebook Twitter Twitter WhatsApp WhatsApp Email E-Mail Newsletter